Merken

Trotz Wehwehchen noch immer gut drauf

Erna Baumgart ist die zweitälteste Bürgerin von Niesky. Am Montag feiert sie ihren 102. Geburtstag.

Teilen
Folgen
© Jens Trenkler

Von Constanze Knappe

Guter Dinge ist Erna Baumgart. Zwar sei es mit dem Gehör immer schlechter geworden, aber ansonsten gehe es ihr „sehr gut“, wie sie sagt. Am Montag feiert sie im Altenpflegeheim „Abendfrieden“ ihren 102. Geburtstag. Damit ist sie die zweitälteste Einwohnerin von Niesky. Die Älteste, Charlotte Geister, seit April 102 Jahre alt, lebt nur ein paar Türen weiter. Die zwei alten Damen schwatzen des Öfteren darüber, wer es von ihnen denn länger aushält auf dieser Welt. Das hatte Oma Lotte seinerzeit der SZ verraten. Daran ändert auch beider Schwerhörigkeit nichts.

Für den Montag haben sich bei Erna Baumgart Bekannte und frühere Nachbarn zum Gratulieren angesagt. Am Nachmittag wird die Seniorin im Kreise ihrer Familie am gemütlichen Kaffeetisch sitzen. Bienenstich habe sie schon immer besonders gemocht. Sohn Dieter (77) mit Frau, der in Nieder Seifersdorf lebt, wird ebenso da sein wie Tochter Waltraud (72) und ihr Mann aus der Nähe von Wurzen. Von den sechs Enkeln und zwölf Urenkeln, die weit verstreut leben, kann hingegen nicht jeder an dem Tag in Niesky sein. Schon gar nicht der Sohn von Dieter Baumgart, der in Amerika lebt. Er ruft seine Oma aber jede Woche an. Wie auch andere Enkel und Urenkel. Erna Baumgart kennt sie alle mit Namen.

Geboren ist sie 1915 im thüringischen Köppelsdorf, seit Langem ein Ortsteil von Sonneberg. Vor sechs Jahren war sie das letzte Mal dort. Ein Schwarz-Weiß-Foto ihres Geburtshauses hängt in ihrem Zimmer im Altenpflegeheim, darunter ein Bild jenes Hauses in Hähnichen, wo sie später viele Jahre lebte. Als junges Mädchen besuchte sie eine Hauswirtschaftsschule, lernte dort kochen und wurde daraufhin beim Freiherr von Brandenstein auf Rittergut Hain bei Gera angestellt. In den 1930er Jahren verkaufte die Adelsfamilie diesen Besitz. Die junge Erna folgte mit einer weiteren Angestellten ihrer Herrschaft auf Schloss See bei Niesky. Aus Neugier, wie sie sagt. Dreieinhalb Jahre war sie bei den Brandensteins verdingt. Beim Tanz in See lernte sie ihren Mann kennen, dessen Eltern die Bäckerei in Hähnichen betrieben. 1937 wurde geheiratet. Als wenige Tage nach Kriegsende 1945 Tochter Waltraud zur Welt kommen sollte, zogen Schwiegervater und Schwägerin mit weißer Fahne los, um die Hebamme zu holen, erklärt Erna Baumgart. Schwere Zeiten seien das gewesen. Die wurden nicht gleich besser. Woher Kohle, woher das Mehl nehmen, sei die ständige Frage in der Bäckerei gewesen. Gearbeitet wurde nach dem Motto: „Früh auf, spät nieder, iss schnell und schufte wieder“. Erna Baumgart rezitiert, als sei es ihr erst gestern eingetrichtert worden.

Sie stand meist hinterm Ladentisch. Zudem musste täglich für acht Personen – Familie und zwei Mitarbeiter – gekocht werden. Bis 1963 führte die Familie die Bäckerei, die dann ein Nachfolger übernahm. Erna Baumgart wurde Hausfrau, pflegte einige Jahre ihren Schwiegervater und hatte den großen Garten zu bewirtschaften. Für ein Hobby blieb da keine Zeit. Es sei denn, man zählt den Garten als solches. Mit ihrer Lieblingsblume, dem Blauen Enzian. „Ich habe gern Ableger gemacht und mich gefreut, wenn sie angingen“, erzählt die Seniorin. Jede Menge Kräuter hat sie selbst gezogen, auch für Tee getrocknet. Ihr Mann arbeitete die meiste Zeit auf dem Güterbahnhof in Horka. Er verstarb 1988.

Als sie 90 wurde, hat sie mit dem fünfjährigen Enkel noch Fußball gespielt. Nach einem Jahr in der Familie ihres Sohnes zog sie mit 94 ins Pflegeheim nach Niesky. Da fühlt sie sich wohl. „Mit dem Essen ist es wie zu Hause. Mal schmeckt es und mal nicht“, sagt sie schmunzelnd. Ihr Sohn erklärt, dass sie selbst eine begnadete Köchin gewesen sei. Sie schaut sich gern Nachrichten und Naturfilme an. Seit sie schwer hört, geht sie nicht mehr zur Zeitungsschau, sondern liest lieber selbst. Bei einem Sturz erlitt sie vor drei Jahre einen Oberschenkelhalsbruch. Seither sitzt sie im Rollstuhl. Am liebsten im Garten. Oder bei einem Schwatz mit den Nachbarinnen.

Pfingsten fuhr ihr Sohn mit ihr noch einmal durch die Dörfer. Obwohl sich viel veränderte, hat sie es sofort erkannt. Weil sie nicht mehr aussteigen kann, bildete sich in Hähnichen eine Traube ums Auto, als sich frühere Nachbarn nach ihrem Befinden erkundigten. Gesundheit ist der größte Wunsch von Erna Baumgart. Dem schließt sich die Redaktion von Herzen an.