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Trauriges Schauspiel

Pegida-Demonstranten sollen am Montagabend Schüler eines Theaterfestivals aggressiv beschimpft haben.

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© Christian Essler

Von Tobias Wolf

Am Tag nach dem großen Entsetzen sitzen gut 60 Schüler im Dachsaal des Kleinen Hauses und wollen wissen, warum ihnen am Vorabend so viel Hass entgegenschlug. „Warum schreien uns diese Pegida-Demonstranten an, rufen ,Macht euch in die Schule‘, ,Schämt euch‘ und bezeichnen uns als faules Pack“, fragt eine 16-Jährige aus Nordrhein-Westfalen. Eine wirkliche Antwort gibt es darauf nicht.

Am Dienstagabend sprechen Dietrich Herrmann und Susanne Adam (l.) vom Netzwerk „Dresden für Alle“ mit Schülern. Eine wirkliche Antwort auf die Fragen der Jugendlichen finden sie auch nicht.
Am Dienstagabend sprechen Dietrich Herrmann und Susanne Adam (l.) vom Netzwerk „Dresden für Alle“ mit Schülern. Eine wirkliche Antwort auf die Fragen der Jugendlichen finden sie auch nicht. © Sven Ellger

Es ist Montagabend gegen 20 Uhr, als im Schauspielhaus eine Vorstellung zu Ende geht, die von Schülern aufgeführt wurde. „Schultheater der Länder“ heißt das Festival, das jedes Jahr in einem anderen Bundesland veranstaltet wird. Als die Jugendlichen vor das Theater treten, ist ein Drittel des Pegida-Demonstrationszuges vorbei. Die Teilnehmer rufen „Volksverräter“ und weitere Parolen. Ralf Seifert ist Referent im Kultusministerium und hat das Festival mit organisiert. Der 44-Jährige erlebt eine aggressive Stimmung der Pegida-Anhänger, die die Schüler aus 16 Bundesländern wohl für Gegendemonstranten halten. Weil sie ihre Festivalpässe um den Hals und Rucksäcke mit einem Logo tragen, vermutet er. „Die Pegida-Leute haben krass gepöbelt und sind sofort ganz nah an die Schüler herangegangen“, sagt Seifert. Dem Referenten zufolge hätten sie vor den Schülern ausgespuckt und gerufen: „Euch kriegen wir auch noch“ und „geht erst mal arbeiten“. Einer anderen Augenzeugin zufolge versuchen einzelne Pegida-Anhänger in den Säulengang zu gelangen, wo die Schüler stehen. Einigen gelingt das auch. Bis die Polizei dazwischengeht.

Die Adressaten der Wut sind Kinder vom Fünftklässler bis zur Oberstufenschülerin. Einige sollen geschubst worden sein. Seiferts Beobachtung zufolge seien immer mehr junge Männer auf die Schüler zugekommen, die sich Handschuhe übergezogen und mit Fahnenstangen bedrohlich auf ihre Handflächen geklopft hätten. Sie hätten Thor-Steinar-Jacken und -Pullover getragen, eine bei Rechtsextremen beliebte Marke. Einige Schüler wehren sich verbal gegen die Parolen, erzählt eine 16-jährige Bremerin tags darauf. Sie rufen „Kein Mensch ist illegal“ und „Nazis raus“. Andere weinen wegen der Situation. „Das war das Furchtbarste, was ich je erlebt habe, ein richtiger Schock“, sagt eine 17-Jährige 24 Stunden später im Kleinen Haus. „Wo ist hier Dresden, wo die Gegendemo?“, fragt die Bremerin. Auch diese Antwort fällt den Mitgliedern des Netzwerks „Dresden für Alle“ nicht leicht, die das Phänomen zu erklären versuchen.

Mit dem Vorfall vom Montagabend konfrontiert, sagte Pegida-Anführer Lutz Bachmann gegenüber der SZ am Telefon: „Ich sage dazu überhaupt nichts. Es ist nie zu diesem Vorfall gekommen.“ Wenn darüber nichts im Polizeibericht stehe, könne es auch nicht passiert sein, so Bachmann weiter. Laut Polizei werden nur Straftaten oder Personenfestsetzungen dokumentiert.

Dass Augenzeugen den Hergang authentisch schildern können, kommentiert Bachmann mit den Worten: „Es ist mir scheißegal.“ Später ruft er noch mal an, behauptet, die Schüler hätten provoziert und man habe noch am Montagabend beim Staatsschutzdezernat zwei Anzeigen erstattet. Nur: Beim Staatsschutz weiß niemand von den angeblichen Anzeigen, teilt ein Polizeisprecher mit. Zufällig sei ausgerechnet der Chef der Abteilung am Montagabend in der Dienststelle gewesen. Bei ihm hätten sich keine Pegida-Vertreter gemeldet.

Das sächsische Kultusministerium bat gestern in einem offenen Brief die Schüler um Entschuldigung. „Wir verurteilen die Angriffe auf Euch zutiefst. Es ist beschämend und spricht Bände für emotionale Armut und Kleingeistigkeit dieser Menschen, die Euch bedroht haben.“ Und: „Lasst Euch nicht von der Kleingeistigkeit der Pegida-Demonstranten verunsichern.“

Was für die Schüler bleibt, sind jede Menge Fragen. Die 16-jährige Bremerin ist immer noch fassungslos, dass Senioren gerufen haben: „In 15 Jahren tragt ihr alle Kopftuch“. In Bremen lebten ganz selbstverständlich mehr Ausländer als in Dresden und es gäbe überhaupt keine Probleme. Sie verstehe die Angst vor einer angeblichen Islamisierung nicht. Dresden sei da wohl anders.