Merken

Tourismus: Wer profitiert im Osten?

Die Reisefreude der Deutschen ist sprichwörtlich. Doch fast alle Regionen in Deutschland wollen auch selbst Reiseziel sein. Bei manchen klappt das hervorragend, anderswo hakt es.

Teilen
Folgen
NEU!
© dpa

Christiane Raatz, Franziska Höhnl, Simone Rothe, Anna Ringle

Dresden/Cottbus. Tourismus kann Geld in manche Regionen bringen, nach Ansicht des Deutschen Tourismusverbands aber wegbrechende Wirtschaftszweige nur schwer ersetzen. „Das funktioniert nicht. Tourismus kann sowas nicht alleine auffangen“, sagte DTV-Sprecherin Sarah Mempel in Berlin der Deutschen Presse-Agentur. Das betreffe etwa Regionen, in denen Industrie verschwunden sei oder die Landwirtschaft nicht mehr so gut laufe wie früher. Auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg läuft das Geschäft - aber nicht alle Regionen profitieren gleichermaßen.

„HYPEZIG“ LOCKT: Jede Menge Touristenbusse rollen durch die Straßen, volle Hotels zu Kongressen: „Hypezig“ macht seinem Namen alle Ehre. In der als jung und hip geltenden ostdeutschen Stadt Leipzig wächst nicht nur die Bevölkerung, sondern auch bei den Besucherzahlen geht es seit einigen Jahren immer nur aufwärts. Für 2015 vermeldete die Leipzig Tourismus und Marketing GmbH (LTM) mit rund 2,83 Millionen Übernachtungen den zehnten Gästerekord in Folge. Auch das erste Halbjahr 2016 lief gut, so dass LTM-Chef Volker Bremer mit der 3-Millionen-Marke liebäugelt. Es wäre eine Verdopplung der Gästezahlen in gut zehn Jahren. Getrieben wird das Geschäft von Kongressen, aber auch Städtetouristen haben „Klein Paris“ verstärkt auf dem Schirm.

BOOMENDE BÄDER: Oft im Schatten von Sächsischer Schweiz mit ihrer bizarren Felslandschaft oder dem Erzgebirge, hat das malerische Vogtland in Sachen Tourismus still und leise aufgeholt: Die Region mit den sanften Hügeln an der Grenze zu Thüringen, Bayern und Tschechien hat in der ersten Jahreshälfte ein Plus von zwei Prozent bei den Ankünften und Übernachtungen verbucht. „Ganz starke Zuwächse gibt es in den Staatsbädern Bad Elster und Bad Brambach“, freut sich der Geschäftsführer des Tourismusverbandes Vogtland, Andreas Kraus. Wellness liegt im Trend: Die Ankünfte legten in den Bädern um 15 Prozent zu, die Übernachtungen um knapp sechs Prozent. Neue Sole-Therme und ein neues Vier-Sterne-Hotel haben zahlreiche Gäste angelockt - vor allem aus Deutschland.

CHEMNITZ IM MINUS: Eigentlich sind Städtereisen gefragt wie nie - davon kann die dritte sächsische Großstadt Chemnitz aber nicht profitieren. Mit 228 000 Übernachtungen musste Chemnitz in den ersten Monaten des Jahres ein deutliches Minus von neun Prozent hinnehmen. Dabei gibt es einiges zu sehen: Das 40 Tonnen schwere Karl-Marx-Monument, auch „Nischel“ genannt, oder architektonische Perlen wie die Villa Esche nach Henry van de Velde.

Susan Endler von der Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft (CWE) spricht nach drei starken Jahren in Folge von Korrekturen - und ist optimistisch, das dicke Minus bis zum Jahresende zumindest ausgleichen zu können. Insgesamt bleibt der Tourismus in Sachsen im ersten Halbjahr hinter den Erwartungen zurück, die Zahl der Übernachtungen stagniert. So wurden im ersten Halbjahr 2016 knapp 8,54 Millionen gezählt - nur 0,1 Prozent mehr als im Vorjahr.

SPREEWALD LEGT ZU: Eingelegte Gurke, Kahnfahrt und Heimatfeste der sorbischen und wendischen Minderheit - damit wirbt der Spreewald seit Jahren. Das Unesco-Biosphärenreservat zählt mit seinem kleinteiligen Wassernetz zu den beliebtesten Zielen in Brandenburg. Und es kommen immer mehr Touristen - aus dem In- und dem Ausland. Die Zahl der Übernachtungen stieg im ersten Halbjahr 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nach Angaben des Statistischem Bundesamts um 11,3 Prozent auf mehr als 807 000. Viele Berliner machen einen Abstecher in die Region - auch ein Pluspunkt.

GRENZGEBIET SCHWÄCHELT: Anders sieht es dagegen in Südbrandenburgs Grenzgebiet zu Polen aus: Die Region kann vom derzeitigen Boom nicht wirklich profitieren. Und das, obwohl der Spreewald als beliebtes Ausflugsziel gar nicht so weit weg ist. Woran liegt das? Der Tourismusverband Niederlausitz nennt als einen Grund, dass es an einem großflächigen und länderübergreifenden Marketingkonzept für die Lausitz fehle.

Ansätze seien aber da: Seit Jahresanfang gebe es eine neue Rad-Wanderkarte, an der mehrere Tourismusverbände aus Brandenburg und Sachsen zusammengearbeitet hätten. Bei den Gästeankünften weist die Statistik für das erste Halbjahr ein Minus von 1,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum aus. Bei den Übernachtungen lag die Region zwar leicht im Plus, zählte mit 70 250 aber nicht mal ein Zehntel der Übernachtungen wie die Kollegen im Spreewald.

IM STÄRKEREN WETTBEWERB: Der Thüringer Wald ist mit Oberhof und dem fast 916 Meter hohen Inselsberg bei Tabarz ist Thüringens wichtigstes Tourismusgebiet. 1,4 Millionen Gäste, die 4,2 Millionen Übernachtungen buchten, kamen im vergangenen Jahr. Damit setzte sich der Rückgang bei den Übernachtungszahlen, der seit einigen Jahren anhält, fort. Die Region hat es zunehmende schwer, zu punkten - der Wettbewerb mit anderen Mittelgebirgsregionen wie dem Bayerischen oder dem Schwarzwald ist groß.

Vor allem Jahre mit wenig Schnee wie 2016 machen den Hotels und Pensionen entlang des Höhenwegs Rennsteig zu schaffen. In der ersten Jahreshälfte 2016 sank die Zahl der Hotelgäste um 3,2 Prozent auf rund 622 000, die der Übernachtungen ging ebenfalls zurück. „Wenn es im Thüringer Wald klemmt, dann kommt Thüringen touristisch insgesamt nicht von der Stelle“, kommentierte Wirtschaftsstaatssekretär Georg Maier die Entwicklung.

HÄLT DER LOCKRUF?: Noch unentschieden ist die Entwicklung der strukturschwachen Altmark in Sachsen-Anhalt. Sie zählte in der Vergangenheit im Vergleich zum brummenden Harz nicht zu den beliebtesten Urlaubszielen des Landes. Die Bundesgartenschau, die an vier Orten in Brandenburg und im sachsen-anhaltischen Havelberg zu sehen war, brachte jedoch eine Aufholjagd. Mit einem Übernachtungsplus von 21,2 Prozent verzeichnete der Kreis Stendal 2015 landesweit die höchsten Zuwächse.

Im ersten Halbjahr schwächte sich die Entwicklung ab. Während Sachsen-Anhalt ein Plus von 2,6 Prozent verbuchte, sanken die Übernachtungen in der Altmark um 0,1 Prozent. Trotzdem ist der regionale Tourismusverband zuversichtlich. „Der Radtourismus ist unser stärkster Bereich, gefolgt vom Reittourismus“, zählt Geschäftsführerin Mandy Hodum auf. Die Buga habe viele auf die Gegend aufmerksam gemacht, Städte berichteten von mehr Andrang in den Tourist-Infos. Ob die Belebung dauerhaft ist? Wer weiß. (dpa)