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Totaler Gedächtnisverlust

Zum zweiten Mal beschäftigt ein Vorfall in der Asylunterkunft in Radebeul das Meißner Amtsgericht. Der Verteidiger spricht von Verschwendung von Ressourcen.

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© Arvid Müller

Von Jürgen Müller

Radebeul/Meißen. Wenn sie bisher nicht wussten, was deutsche Gründlichkeit bedeutet, die beiden Männer aus Algerien und Indien dürften es jetzt wissen. Bereits zum zweiten Mal beschäftigen sie das Meißner Amtsgericht. Es geht um eine Schlägerei im Asylbewerberheim in Radebeul. Der Algerier soll den Inder mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben.

Bereits Anfang Juli wurde verhandelt. Damals allerdings erschien der Inder nicht als Zeuge. Diesmal ist er da. Der Richter hat ihn von der Polizei vorführen lassen. Er habe den Brief vom Gericht verlegt, deshalb habe er den Termin verpasst, sagt der 59-jährige Inder. Ordnung ist wohl nicht so sein Ding. Und auch mit der Glaubwürdigkeit ist es nicht weit her. Schon einmal hatte er den Angeklagten angezeigt, weil der ihn zusammengeschlagen habe. Das konnte aber gar nicht sein. Denn zum Zeitpunkt der Tat befand sich der Angeklagte nicht im Asylbewerberheim, sondern im Krankenhaus.

Das Vorstrafenregister des Angeklagten ist lang

Auch diesmal geht Professor Endrik Wilhelm, der Verteidiger des Algeriers, von einer Falschbeschuldigung aus, sprach schon bei der ersten Verhandlung von einer „Vergeudung von Ressourcen“. Sein Mandant sei nachweislich unschuldig, man könne sich die ganze Verhandlung sparen, hatte er damals schon kritisiert. Nun, so unschuldig ist sein Mandant allerdings nicht. Das Vorstrafenregister des 31-jährigen Algeriers, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, obwohl sein Asylantrag abgelehnt wurde, ist lang. Er steht unter Bewährung.

Doch was sich diesmal am Meißner Amtsgericht abspielt, ist bemerkenswert. Der Inder, der für seinen Alkoholkonsum bekannt ist und den Angeklagten mehrfach wegen Körperverletzung angezeigt hat, verliert plötzlich sein Gedächtnis. Obwohl er schwer verletzt wurde, kann er sich an den Vorfall überhaupt nicht mehr erinnern. Das sei ja so lange her, und außerdem sei er betrunken gewesen. Ein böser Verdacht drängt sich auf. Nach Verhandlungsbeginn sitzt der Mann auf dem Gerichtsflur mit der deutschen Freundin des Angeklagten. Nach einiger Zeit kommt sie in den Saal. Wurde ihm „Schweigegeld“ gezahlt? Merkwürdig ist: Bei der nächsten Verhandlung gegen einen anderen Angeklagten ist der Inder wieder Geschädigter und Zeuge. Und hier hat er plötzlich ganz viele, detaillierte Erinnerungen.

Gericht bezahlt sogar die Fahrkarte für S-Bahn

Doch hier kann dem Angeklagten die Tat nicht nachgewiesen werden, sagt Staatsanwältin Eva-Maria Beitz und fordert Freispruch. Anwalt Wilhelm will es dabei nicht belassen. „Er war es einfach nicht. Man muss kein Prophet sein, um das zu sehen, sondern einfach nur die Akte lesen“, sagt er und spricht erneut von „Ressourcenverschwendung“. „Die ganze Nummer hier kostet uns Steuerzahler so zwischen 4 000 und 5 000 Euro“, sagt er.

Richter Michael Falk spricht den Angeklagten frei. Normalerweise hätte er dem Inder die Kosten für die erste Verhandlung auferlegen können. Allein die Dolmetscher kosteten rund 1 000 Euro. Der Richter verzichtet darauf, weil bei dem abgelehnten Asylbewerber ohnehin nichts zu holen ist. Die Versuche, das Geld einzutreiben, würden nur weitere Kosten verursachen, sagt er. Das Gericht bezahlt ihm sogar die Fahrkarte für die S-Bahn. Wenigstens ein Handy kann er sich leisten. Das klingelte mitten in der Zeugenvernehmung.