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Torwartlegende plaudert aus dem Nähkästchen

Jürgen Croy über Karriere, die Heimatstadt Zwickau, den Talente-Ausverkauf und warum er RB Leipzig die Daumen drückt.

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© Jens Trenkler

Von Constanze Knappe

Dass Spitzenfußballer der DDR Staatsamateure waren, ist kein Geheimnis. Torwartlegende Jürgen Croy zum Beispiel war gelernter Elektromonteur und als solcher beim VEB Sachsenring Zwickau angestellt. Die Trabantschmiede sah er nur selten von innen. Wie die DDR-Profis, die offiziell ja keine waren, zu ihrem Geld kamen, dürfte weit weniger bekannt sein. Der einstige Nationaltorhüter erzählt von einem Herrn mit Aktenkoffer, mit dem er in seinen privaten vier Wänden bei Kaffee und Kuchen geplaudert habe, bis der Mann auspackte, was er dabei hatte. Daraus wurde ein Geheimnis gemacht, damit das Fußvolk nicht erfuhr, was Spitzenfußballer so verdienten. 1 800 DDR-Mark im Monat waren das, weitere 1 000 Mark als Nationalspieler.

Zwischen 1967 und 1981 stand Jürgen Croy 94-mal als Nationaltorhüter der DDR zwischen den Pfosten. Was der dreimalige Fußballer des Jahres, der alle zehn Europapokalspiele mit Zwickau absolvierte, so alles erlebte, darüber sprach er am Montagabend im Saal des Gasthofs Diehsa.

Als Achtjähriger begann er in Zwickau mit dem Fußball, als Mittelstürmer. Dass er ein begnadeter Torhüter wurde, schreibt er seinen „idealen Körpermaßen“ zu. 16-mal lief er mit der Juniorenauswahl der DDR auf. Den nahtlosen Übergang zu den Erwachsenen findet er noch heute gut. 1967 gewann er mit der A-Auswahl sein erstes Länderspiel. Die vom Attentat auf die israelische Mannschaft überschatteten olympischen Spiele 1972 in München beendete die DDR-Auswahl mit Bronze. 1976 in Kanada folgte Gold. Als Olympiasieger wurden sie alle „Verdiente Meister des Sports“, bekamen den Vaterländischen Verdienstorden in Silber und 10 000 oder 15 000 Mark. So genau weiß er das nicht mehr. Nur so viel, dass sie erst nach Ende der aktiven Laufbahn auf das Geld Zugriff hatten. Der Fußball-Kracher DDR gegen BRD bei der WM 1974 war für die DDR-Funktionäre ein Schock. Für die Spieler nicht. „Wir konnten der ganzen Welt zeigen, dass wir auch Fußball spielen konnten“, sagt er. Gekrönt wurde das Spiel „durch die schöne Einzelleistung von Jürgen Sparwasser“. Dass man die Klamotten zum Waschen extra von Hamburg nach Berlin schaffte, darüber hätten sie sich gewundert. Später nicht mehr. So konnten die Funktionäre Westgeschenke wie Fernsehgeräte heimlich zu sich nach Berlin bringen lassen. Die Spieler sahen davon nichts. Sie bekamen Prämien zwischen 4 000 und 7 000 Mark. „Das war für uns viel Geld. Dafür macht sich mancher in der Bundesliga jetzt nicht mal die Schnürsenkel zu“, so Jürgen Croy.

Er war nur selten verletzt. Von 416 Oberligapunktspielen bestritt er 372. Als unangefochtene Nummer Eins im Tor der Zwickauer. Man wollte ihn in Berlin, Leipzig oder Dresden. Croy blieb standhaft – und seiner Heimatstadt treu. Trotz der Drohung, ihn bei einer Gurkentruppe versauern zu lassen. Die Quittung folgte. Ihm wurden die 1 000 Mark als Nationalspieler gestrichen. Dennoch habe er nie bereut, dass er in Zwickau blieb. Nach einem guten Spiel klopften ihm die Leute auf die Schulter, an einem schlechten Tag bekam er die Antwort darauf ebenfalls zu spüren. „Das hat dazu beigetragen, dass wir alle auf dem Teppich blieben“, sagt er und würde diese direkte Reaktion der Fans manchem Fußballstar heute wünschen. Standhaft blieb er auch, als die Stasi ihn gewinnen wollte, „Augen und Ohren offen zu halten“. Mehrfach wurde er deswegen bedrängt. Ohne Erfolg. In seiner Stasi-Akte liest sich das nach seiner Aussage so: „ Croy ist feige und für den Einsatz nicht geeignet“.

Die drei Jahre vor der Wende war er Trainer in Zwickau, zog in den Wendetagen einen Werbevertrag von Puma für den Verein an Land. 1994 wurde er Bürgermeister für Kultur, Schule und Sport in Zwickau und ab 2000 Chef der dortigen Stadthalle.

Fast eine Stunde redet der 71-Jährige, der seit 50 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet ist und zwei Kinder hat, fast ohne Punkt und Komma, erzählt so manche Anekdote. Von Erlebnissen, die ihm damals ganz bestimmt nicht komisch vorkamen. Die Gegend hier ist ihm nicht ganz fremd. So war er einst zum Trainingslager in Horka. An Peter Mehlhose, einen Verteidiger bei Chemie Weißwasser, erinnert er sich noch, als den „Herrn über Cognacschwenker, die bei Spielern sehr beliebt waren.“

In einem bis auf den letzten Platz gefüllten Saal beantwortet das einstige Idol so manche Frage. Etwa zum Ostfußball, der heute nur zweitklassig ist, weil es nach der Wende den großen Ausverkauf der Talente gab. Er drückt RB Leipzig die Daumen.