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Torhüter unterhält im Trauzimmer

Mit seiner Erzählfreude sorgt René Müller auf Schloss Schönfeld für einen kurzweiligen Abend.

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© Kristin Richter

Von Manfred Müller

Schönfeld. Im Grunde hat René Müllers erfolgreiche Torwart-Karriere in Großenhain begonnen. Dort fand zu Beginn der 1970er die Spartakiade der DDR-Kickerjugend statt, und der ehrgeizige Junge, der damals bei der BSG Aktivist Markkleeberg spielte, stand in einer Mannschaft mit Gleichaltrigen von Lok Leipzig. Nach dem Turnier wurde gefragt, ob er nicht bei Lokomotive trainieren wolle. „Eigentlich ging das gar nicht, denn ich war mit Leib und Seele Anhänger des Lokalrivalen Chemie Leipzig“, erzählt er. Aber sein Vater habe ihn mit Geduld und Einfühlungsvermögen dorthin gelenkt. Dieser Schritt ebnete ihm den Weg bis in die Oberliga und schließlich in die DDR-Nationalelf, für die er insgesamt 46 Spiele bestritt.

Unverblümte Ansichten

Kürzlich war der immer noch jungenhaft wirkende 58-jährige Gast beim Schönfelder Fußballforum, und Moderator Gert Zimmermann verlebte einen geruhsamen Abend. Denn Müller verstand es, derart interessant und fesselnd zu plaudern, dass „Zimmer“ nur wenige Fragen an den Mann bringen konnte. Die Leipziger Torwart-Legende war für die DDR-Sportfunktionäre nie ein bequemer Partner und eckte des Öfteren an. Als Führungsspieler und Kapitän in Oberliga- und Nationalmannschaft unverzichtbar, nahm der Torhüter selten ein Blatt vor den Mund, und das sorgte immer mal für einen Karriereknick. Aber Müller verbog sich nach der Wende nicht, und seine unverblümten Ansichten machten den Abend in Schönfeld ausgesprochen unterhaltsam.

Die Ermittlung von Leistungsdaten und Erfolgsquoten im Fußball? Alles Quatsch, sagt der Leipziger, der heute als Spieler-Scout für Borussia Mönchengladbach arbeitet. Fußball lebe vom Talent jedes einzelnen Teammitglieds, und Talent lasse sich nun mal nicht messen. Wenn Dynamo-Kicker Torsten Gütschow zum Elfmeter angelaufen sei, habe er noch nicht gewusst, ob er mit links oder rechts abschießt. Und die Dinger seien zu 99 Prozent drin gewesen. Was wolle man da messen? Die Begabung sehe man nur auf dem Platz, bei der Körpersprache, der Ballbehandlung oder der Schusstechnik. Müller muss es wissen, denn er stand bei 264 Oberligaspielen für Lok Leipzig zwischen den Pfosten und hütete zwischen 1991 und 1994 das Tor bei Dynamo Dresden. Fußball sei einfach ein Glücksspiel unter freiem Himmel, sagt er. Wer es berechnen wolle, werde scheitern.

Mit dezentem Sächseln

Das Schönfelder Fußballforum war wegen einer weiteren Veranstaltung vom Schlosssaal ins Trauzimmer verlegt worden, und das „Séparée der ewigen Liebe“ passte irgendwie zu dem Leipziger, der seit über 30 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet ist. Und der seiner Heimatstadt trotz einer Vielzahl von Auswärts-Jobs immer treu blieb. René Müller sächselt nach wie vor dezent, daran hat die Trainertätigkeit in Frankfurt/Main und Nürnberg nichts geändert.

Auch die Stationen Plauen, Erfurt und Halle stehen in seinem Arbeitsbuch, der Rückblick fällt allerdings recht durchwachsen aus. „Ich möchte nicht noch mal im Osten arbeiten“, sagt René Müller. „Das funktioniert immer nach dem Prinzip ‚Ein Lohn – kein Lohn‘.“ Dennoch ist er ein Ost-Gewächs geblieben. Die Leute aus dem Westen verstünden die DDR-Sozialisation einfach nicht, ist die Torhüter-Legende überzeugt. Außer vielleicht denen, die in Grenznähe wohnten und hin und wieder DDR-Fernsehen schauten.

Ob Trainingsmethoden, Funktionärsmarotten oder Stasi-Intrigen – René Müller hatte am Donnerstag zu jedem Thema eine Story auf Lager. Dabei ging er aber ausgesprochen fair mit seinen früheren Mitstreitern um. Selbst für Dynamos Skandal-Präsidenten Rolf-Jürgen Otto, mit dem er auf Kriegsfuß stand, fielen noch ein paar versöhnliche Worte ab. Wie er die Dresdner zurzeit einschätze? „Die spielen, als wären Stefaniak, Gogia und Kutschke immer noch dabei“, sagt René Müller offenherzig. „Sind sie aber nicht.“