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Toni, der Großenhainer

Von wegen Ostdeutsche hatten keine Erfahrung mit Ausländern. Ein Blick in die Geschichte.

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© Anne Hübschmann

Von Birgit Ulbricht und Kathrin Krüger-Mlaouhia

Großenhain. Toni ist noch da. Paolo ist in den Westen gegangen und Rafael gerade auf Heimaturlaub. „Heimat“, das ist für Antonio Nhazimo Moçambique, obwohl der Afrikaner seit 35 Jahren in Großenhain zu Hause ist, hier arbeitet, Familie hat. Seine Tochter studiert längst Wirtschaftswissenschaft und ist „ganz anders“, sagt Vater Antonio. Sie ist schon eine Deutsche. Der Mosambikaner kam im Mai 1981 nach Großenhain, per Austausch, wie das zu DDR-Zeiten so war. „Für uns war immer klar, wir gehen wieder nach Hause“, erzählt er. Vier Jahre Ausbildung, dann geht es zurück nach Afrika. Wer besonders gut war, durfte noch einmal vier Jahre bleiben. Dann kam die Wende. Doch die Integration, wie man heute sagen würde, war staatlich klar gelenkt und streng. In Kleinraschütz wurde morgens vier Monate deutsch gelernt, am Nachmittag im Betrieb gearbeitet.

Mosambikaner, Deutsche und Vietnamesen beim Tauziehen in der Freizeit.
Mosambikaner, Deutsche und Vietnamesen beim Tauziehen in der Freizeit. © Jürgen Müller
Ein Kubaner in der Baubrigade der Textima. Gottfried Reinisch (l.) von der SED-Kreisleitung schaut zu.
Ein Kubaner in der Baubrigade der Textima. Gottfried Reinisch (l.) von der SED-Kreisleitung schaut zu.
Vietnamesen erhielten in der Lautex eine Ausbildung als Textilfacharbeiter.
Vietnamesen erhielten in der Lautex eine Ausbildung als Textilfacharbeiter.

Freunde durch den Sport

Später war Toni, wie ihn durch den Fußball alle in Großenhain nennen, in der Lautex. Geschlafen wurde in Baracken im Betrieb, jede Gruppe hatte einen Betreuer. Und vom ersten Tag an hieß es „Arbeiten gehen“. Arbeitslos war Toni in den über 30 Jahren nie, jetzt ist er Vorarbeiter auf dem Zeithainer Schrottplatz. „Ich habe gleich Freunde durch den Sport gefunden, das war wichtig“, sagt Toni. Er hat in Kalkreuth und schließlich beim GFV gespielt, und ist dort so manchem davongerannt. Noch heute ist er bei den Alten Herren.

54 ist Toni inzwischen und macht sich so seine Gedanken über Deutschland heute. „Wenn ich hier herkomme, muss ich mich einordnen, das ist doch nicht mein Land“, sagt er kopfschüttelnd. Er kann auch nicht verstehen, wie Tausende „ohne Papiere“ durch die Welt reisen. „Das geht doch nicht“, sagt er und hört sich an, als wäre er ein gelernter DDR-Bürger, der darüber immer noch staunt. Auch über die Rente macht er sich Gedanken. Da will er nach Moçambique zurück. „Ich bekomme mal so wenig Rente, das reicht hier nicht für Wohnen und Leben“, meint er. Dieses Jahr geht auch er wieder auf Heimaturlaub. Seine Schulfreunde haben alle längst weiße Haare. Sein Schopf ist noch tiefschwarz. „Das ist das kühle Klima hier“, sagt er – und das stimmt tatsächlich.

Die Vietnamesen waren die Ersten

Blickt man zurück, waren die Vietnamesen die ersten Gastarbeiter in Großenhain. Sie kamen 1980 auf der Grundlage eines Regierungsabkommens. 1534 gutausgebildete südostasiatische Arbeitskräfte sollen in 49 Betrieben der DDR zum Einsatz gekommen sein – in Großenhain in der Lautex. Sie wurden alle Textilfacharbeiter.

1982 folgten 24 Kubaner. Sie kamen in die Textima. Der größte Teil von ihnen schloss eine Qualifikation zum Teilfacharbeiter ab. Die weitere Ausbildung zum Facharbeiter folgte in den Berufen Säger, Dreher, Fräser, Bohrer, Gütekontrolleur, Lackierer und Schlosser. Was also auch in Kuba gebraucht werden konnte. Seit 1981 waren die Mosambikaner in Großenhain. Damals war gerade eine große Trockenheit über das südliche Afrika hereingebrochen. Die DDR zeigte sich solidarisch. Die Afrikaner arbeiteten in der Lautex. Doch in der Freizeit gab es nicht nur Spaß mit den Einheimischen. So kam es im Juni 1988 während einer Disko zu Streitigkeiten. Als sich die etwa 20 Mosambikaner auf den Heimweg machten, folgten ihnen 45 bis 50 Personen bis zur Unterkunft. Sie bewarfen sie mit Steinen und Flaschen, diese setzten sich ebenfalls mit Steinen und Flaschen zur Wehr, zogen sich aber auf Veranlassung ihres Gruppenleiters in ihre Unterkunft zurück. Mehrere Einheimische bedrängten einen Volkspolizisten derart, dass dieser einen Warnschuss abgab. Weitere Sicherheitskräfte trafen ein und stellten kurz nach Mitternacht die Ruhe wieder her. Zwei Deutsche und zwei Mosambikaner erlitten leichte Verletzungen. Die Ursache der Auseinandersetzung lag nach Auffassung des Staatssicherheitsdienstes „im übermäßigen Genuss von Alkohol durch die moçambiquanischen Werktätigen“.