Merken

Todesfahrt auf der Bautzener Straße

1965 kippte ein Straßenbahnzug um. Viel zu schnell hatte er die Kurve genommen. Wegen einer Verwechslung.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Ralph Schermann

Vor 50 Jahren gab es noch eine Straßenbahnlinie nach Rauschwalde. Vom Demianiplatz aus ratterten Trieb- und Beiwagen im Zehn-Minuten-Takt zunächst durch die enge Bautzener Straße. Der am 16. Oktober 1965, einem Sonnabend, 14.45 Uhr abfahrende Zug indes kam nicht weit. Beide Wagen waren nur mäßig besetzt, auch wenn es damals noch keinen arbeitsfreien Sonnabend gab. Der Zug näherte sich dem Knick in die Bautzener Straße, als der Fahrer erschrak. Worüber, das war nicht mehr herauszubekommen. Fakt aber ist, dass der Schreck den Fahrer zu einer Vollbremsung veranlasste. Mit einem Ruck drehte er die Kurbel, die amtlich Fahrschalter hieß, nach rechts. Offenbar war der Mann so durcheinander, dass er vergaß, was er sonst fast im Schlaf beherrschte: Bremsen heißt, die Kurbel nach links zu drehen.

Die falsche Drehrichtung hatte fatale Folgen. Die Bahn beschleunigte rasant und schoss förmlich um die Kurve in die Bautzener Straße. Das konnte nicht gut gehen. Prompt legte sich der Lowa-Triebwagen vom Typ ET54 durch die starke Fliehkraft schräg. Der Beiwagen klappte komplett auf die Seite, hielt dabei aber mit seiner starren Kupplung den Triebwagen in der Schräglage. Zeugen auf dem Bürgersteig waren erst zur Seite gesprungen und kamen nun wieder vorsichtig heran. Denn unmittelbar an dem schräg verharrenden Triebwagen befand sich der nächste Feuermelder. Über diesen alarmiert, war kurz darauf die Görlitzer Berufsfeuerwehr am Unfallort.

Über Funk rief der Einsatzleiter nach Krankenwagen und Bereitschaftsärzten. Notarztwagen wie heute wurden erst in den 80er Jahren üblich. Die Helfer hatten reichlich zu tun. Immerhin hatte der umgekippte Hänger seine Insassen derart durcheinandergewirbelt, dass es mehrere Knochenbrüche und Schnittverletzungen zu behandeln galt. Die Feuerwehrleute mussten die Verletzten über die nun als Dach wirkenden Wagenfenster retten. Für einen Fahrgast kam allerdings ärztliche Kunst zu spät. An den sich beim Sturz in der kippenden Bahn zugezogenen Verletzungen starb er noch am Unfallort.

Der Anhänger konnte nicht mehr auf das Gleis gesetzt werden, weil beide Drehgestelle abgerissen waren. Es musste erst ein Tieflader her, um das Wrack ins Depot zu befördern. Dort blieb nur noch die Verschrottung. Der Triebwagen dagegen schaffte es sogar aus eigener Kraft, wieder zum Betriebshof zu fahren. Aufwendig nahmen die Schlosser der Verkehrsbetriebe an ihm dort eine Generalreparatur vor. Doch das Schicksal kannte keine Gunst mit dem dickbäuchigen Fahrzeug. Ein paar Jahre später sprang der Triebwagen auf der Berliner Straße erneut aus den Schienen und donnerte in ein Schaufenster.