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Russlands tiefer Fall

Für die Leichtathlet-Nation Nummer eins in Europa läuft es bei der WM nicht gut. Russland fehlen nach vielen Doping-Fällen Leistungsträger. Die Ermittlungen der WADA wegen angeblich systematischen Dopings verunsichern zusätzlich.

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© dpa

Andreas Schirmer

Peking. Russlands Leichtathletik erlebt bei der WM in Peking einen tiefen Fall. Viele Doping-Fälle und die Ermittlungen wegen angeblich systematischen Missbrauchs in der Leichtathletik-Nation Nummer eins in Europa haben offenbar Spuren hinterlassen.

„Fakt ist, dass zahlreiche Doping-Sperren, gerade auch von Leistungsträgern, die russischen Medaillenchancen ausgedünnt haben und insgesamt zu einer Verunsicherung geführt haben“, sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). „Russland steht in der Leichtathletik vor einem Umbruch und einem erforderlichen Neuanfang.“

Nach 28 von 47 WM-Finals haben die Russen nur eine Silbermedaille durch 400-Meter-Hürdenläufer Denis Kudrjawzew gewonnen. In der Nationenwertung der Plätze eins bis acht standen sie mit nur 23 Punkten auf dem elften Rang. Zum Vergleich: Bei allen Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften von 2000 bis 2012 erkämpften sich Russland Leichtathleten in den Nationenwertungen immer mindestens Platz zwei.

Cheftrainer: Hoher psychischer Druck durch Anschuldigungen

Cheftrainer Juri Borsakowski bekannte, dass das schlechte Abschneiden seines WM-Teams mit den Doping-Vorwürfen gegen russische Sportler zu tun hat. „Das hängt damit zusammen, dass wir unter großem psychischem Druck stehen“, sagte er der Agentur Tass. Dies sei keine Entschuldigung für den Misserfolg, doch würden sich diese Skandale rund ums Doping auf die psychische Stabilität auswirken. Sichtbar wurde das am Freitag in der Hochsprung-Qualifikation: Olympiasieger Ivan Uchow schied mit 2,26 Meter aus. Seine Bestleistung: 2,41 Meter.

„Einer Reihe leistungsstarker russischer Athleten gelingt es bei der WM nicht, ihr hohes Leistungsvermögen zum Meisterschaftshöhepunkt zu realisieren“, sagte DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen. Der Generalsekretär des russischen Verbandes habe erklärt, keine dopingverdächtigen Athleten zur WM zu schicken. Deshalb würden nun Russlands Asse in ihren bisherigen Erfolgsdisziplinen fehlen. Das gelte fürs Gehen, den Langsprint und die Mittelstrecken der Frauen. „Wenn die Doping-Untersuchungen entsprechende Konsequenzen haben, wäre das zu begrüßen“, so DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska.

Im Dezember 2014 hatte die ARD in der Dokumentation „Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht“ über angeblich systematisches Doping in Russland berichtet. Daraufhin hatte die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) eine unabhängige Kommission unter dem Vorsitz von Richard Pound mit den Ermittlungen betraut. Die Ergebnisse der Untersuchung soll bis Ende des Jahres vorliegen.

WADA-Mail sorgt für Irritationen

Unterdessen hatte eine E-Mail der WADA an die Anti-Doping-Beauftragte der russischen Regierung zu den Ermittlungen der WADA-Kommission für Irritationen gesorgt. In dem Brief an Natalia Schelanowa schreibt WADA-Präsident Sir Craig Reedie, er sei betroffen, dass es anscheinend zwischen der WADA und der russischen Regierung „in der Atmosphäre zu Problemen gekommen sei, die durch die ARD-Berichterstattung im Dezember aufgekommen sind“. Auf der ARD-Homepage wurde am Freitag die vollständige Reedie-Mail, die vom 30. April stammt, und eine Stellungnahme der WADA veröffentlicht.

Wie Reedie weiter in seiner E-Mail schrieb, wolle er klarstellen, dass die WADA keinerlei Maßnahmen treffen werde, die den verbesserten Anti-Doping-Anstrengungen in Russland zuwiderliefen. Er versicherte der russischen Regierungsvertreterin, dass die Maßnahmen der WADA „keine politischen Motive“ hätten. Die WADA, so Reedie, sei durch „eine Reihe nationaler Anti-Doping-Agenturen aus verschiedenen Teilen der Welt unter Druck gesetzt worden, Ermittlungen aufgrund der Anschuldigungen in der ARD-Berichterstattung einzuleiten“.

In einer Stellungnahme trat die WADA Interpretationen entgegen, dass die Weltagentur die Arbeit der Kommission untergraben oder sich bei den Russen anbiedern wolle. „Medienberichte, die im August 2015 erschienen sind, spiegeln die Realität der Situation nicht wider“, hieß es in der WADA-Mitteilung. Entsprechende Zeitungsartikel seien „irreführend und sind eine ungenaue Darstellung des Schreibens des WADA-Präsidenten“. (dpa)