Görlitz
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Tief im Dschungel

Beim Görlitzer Senckenberg Museum für Naturkunde kann man mit Ferienbeginn in eine virtuelle Welt eintauchen. Dafür sollte man sich schnell anmelden.

Von Ines Eifler
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© nikolaischmidt.de

Görlitz. Die Höhlenwände schimmern im Licht der Taschenlampe. Wurzeln hängen einem ins Haar und geheimnisvolle Gänge locken tiefer ins Dunkel. Wenn man eine Stelle des verzweigten Höhlensystems mit der Fernbedienung anpeilt, findet man sich plötzlich dicht vor einer schwarzen Wand, einem Vorsprung, einem Abgrund. Man kann sich nach allen Seiten umschauen, auch nach oben und unten, und einfach nur staunen, wie echt alles wirkt.

Denn diese vermeintliche Höhle tief unter der Erde ist weder real noch ist sie die Nachbildung einer Felsengrotte. Sie ist das, was man erlebt, wenn man die Virtual-Reality-Brille im Görlitzer Senckenberg Museum für Naturkunde aufsetzt. Was wie eine große Höhle wirkt, mit Wänden, die man anfassen möchte, aber ins Leere greift, wenn man es tut, ist eine virtuelle, dreidimensionale Darstellung der Welt unter unseren Füßen. Genauer: eines etwa 20 Zentimeter langen, fünf Zentimeter breiten und drei Zentimeter hohen Ausschnitts aus einem Stück Humusboden. Der wurde am Computer um das Hundertfache vergrößert. Der Mensch bewegt sich darin, als wäre er auf knapp zwei Zentimeter geschrumpft.

Dabei kann er nicht nur durch die Bodenporen wandern, sondern auch den Tieren begegnen, die im Boden leben. So passiert es, dass einem ein Hundertfüßer, groß wie eine Anakonda, geschmeidig zwischen den Füßen hindurchkriecht. Man kann die Springschwänze kennenlernen, die der frühere Museumsleiter Wolfram Dunger grundlegend erforscht und bekannt gemacht hat. Mehrere lange Würmer winden sich durch die Dunkelheit, und faustgroße Raubmilben krabbeln in Augenhöhe über einen Erdbrocken, sodass man sie ganz aus der Nähe betrachten kann. Um die eigene Größe zu realisieren, steckt in einem Gang eine Centmünze, so groß und so schwer, dass man sie keinesfalls anheben könnte.

Ab Sonnabendvormittag kann jeder in die virtuelle Welt des Bodens eintauchen, der sich im Museum dafür anmeldet. „Wir rechnen mit großem Andrang“, sagt Museumsleiter Willy Xylander. In den Winterferien kämen ohnehin zwei- bis dreimal so viele Besucher wie zu anderen Zeiten. „Damit auch jeder Gelegenheit bekommt, die VR-Brille auszuprobieren, werden wir Zeitfenstertickets vergeben.“ Zwei solcher Brillen-Systeme hat das Museum zur Verfügung, zwei Leute gleichzeitig können die Bodenwelt erkunden. Was sie sehen, wird parallel auf einem Bildschirm abgebildet, damit die Umstehenden den Weg mitverfolgen können und die Betreuer Tipps geben können, wo noch etwas zu entdecken ist. Die VR-Brillen sind Teil und Bereicherung der in Görlitz erdachten und hergestellten Wanderausstellung „Die dünne Haut der Erde“. Diese Ausstellung informiert über die Bedrohung unserer Böden, etwa durch Landwirtschaft und zunehmende Versiegelung, und setzt sich für die aktive Erforschung und Erhaltung der Böden ein. Sie ist bereits seit drei Jahren unterwegs, war im EU-Parlament in Brüssel zu sehen, im Naturkundemuseum Chemnitz, vor einem Jahr in Görlitz, danach bei Senckenberg in Frankfurt am Main.

Die VR-Brillen kamen im vergangenen Herbst hinzu, als die Ausstellung bei der UN-Klimakonferenz im November in Bonn gezeigt wurde. Die darin sichtbare Bodenwelt wurde nahezu maßstabsgerecht nach Vorgaben der Görlitzer Bodenforscher gestaltet. „Es war uns wichtig, das Leben im Boden erlebbar zu machen“, sagt Willy Xylander. „Wir können zwar darüber informieren, aber damit das Wissen in Erinnerung bleibt, müssen wir die Emotionen und die Sinne ansprechen.“ Jeder, der mal seine Angst überwunden und eine Vogelspinne in die Hand genommen hat, weiß, was Xylander meint.

Doch wie viel hat eine Brille im austauschbaren Raum noch mit Museum, mit dem Sammeln und Aufbewahren von Objekten zu tun, die uns die Welt erklären? „So ein virtueller Ausflug kann immer nur eine Ergänzung sein“, sagt Willy Xylander. „Sonst ist es kein Museum. Ich glaube, wir wollen den Bären, das Wildschwein, die Säbelzahnkatze sehen. Aber mithilfe der virtuellen Realität können wir uns auch schwer zugängliche Lebenswelten besser vorstellen und sie verstehen.“ Ein älteres Beispiel dafür bietet etwa das Berliner Naturkundemuseum, wo man Fernrohre auf die Skelette der Dinosaurier in der Eingangshalle lenken kann, um dann im 3D-Film zu erleben, wie sich die Knochen mit Muskeln füllen, mit Haut umspannen und schließlich als Pflanzenfresser und Räuber durch die Landschaft bewegen. Auch hier dient der Film dazu, sich bewusst zu machen, dass die 150 Millionen Jahre alten Knochen tatsächlich gelebt haben.

Bei Senckenberg in Görlitz können die Besucher nun drei Wochen lang die beiden VR-Brillen ausprobieren. In den bevorstehenden Ferien hat das Museum täglich, auch montags, von zehn bis 18 Uhr geöffnet. Danach wird eine der Brillen mit der Ausstellung „Die dünne Haut der Erde“ weiter auf Wanderschaft gehen. Die zweite Brille soll dauerhaft im Eingangsbereich des Museums zum Einsatz kommen. Wann genau, steht noch nicht fest, aber Willy Xylander kündigt an, dass man bald auch in die Welt der Dinosaurier und der Kreidemeere eintauchen kann.

Virtuelle Realität im Seminarraum des Senckenberg Naturkundemuseums: 10. Februar bis 4. März. Nur nach Anmeldung unter 0358147605220.