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Therapeutische Einrichtung muss umziehen

Die Einrichtung für schwer verletzte Menschen muss aus dem Hof in Theisewitz raus. Die Zukunft der Stiftung ist offen.

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© SZ

Von Stephan Klingbeil

Theisewitz. Der Sturz veränderte sein Leben. Marcus Kirsch war 2009 in Norddeutschland unterwegs. Er verlegte an jenem Sommertag vor acht Jahren Solarplatten auf einem Dach in Oldenburg. Dann fiel er plötzlich, stürzte zehn Meter in die Tiefe hinab. Der aus Langhennersdorf im Landkreis Mittelsachsen stammende junge Mann überlebte. Allerdings verletzte er sich schwer. Die Leber war gerissen, viele Knochen gebrochen, er erlitt außerdem ein folgenschweres Schädelhirntrauma (SHT).

Auch Werkstattmitarbeiter Marcus Kirsch ärgert sich darüber, dass die Einrichtung aus dem Landgut Theisewitz raus muss.
Auch Werkstattmitarbeiter Marcus Kirsch ärgert sich darüber, dass die Einrichtung aus dem Landgut Theisewitz raus muss. © Andreas Weihs

„Ich musste danach noch einmal ganz von vorn anfangen, alles neu erlernen“, erinnert sich der heute 30-Jährige, der inzwischen in einer Wohngruppe in Dresden lebt. Nach einer mehrmonatigen Reha-Maßnahme bei Spezialisten der Kreischaer Klinik Bavaria fasste Kirsch nicht weit entfernt von dort auch beruflich wieder Fuß. Jeden Tag geht er für vier Stunden bei der Helene-Maier-Stiftung auf dem Landgut Theisewitz arbeiten. Mehr geht nicht. Das hänge mit seinen Sturzfolgen zusammen. Inzwischen ist er seit rund fünfeinhalb Jahren dort, bearbeitet Metall und Holz in der Werkstatt. Auf dem Landgut absolvieren Menschen mit Hirnschäden, speziell mit Schädel-Hirn-Traumata, oft ein mehrwöchiges Arbeitstraining zur Wiedereingliederung in ein neues Beschäftigungsverhältnis. Andere sind hier dauerhaft angestellt.

So wie Marcus Kirsch. Er liebt die Arbeit auf dem Vierseitenhof. Das Miteinander, die Natur, die Pausen am Steinofen im Hof, wo sie oft Brötchen backen: Das alles wird er missen. Denn genauso wie die anderen rund 40 Werkstattmitarbeiter muss er umziehen. „Die Hälfte ist schon weg“, sagt er. Der Grund: Das Landgut wird geräumt. Der Eigentümer des Hofs hat Eigenbedarf angemeldet. „Relativ kurzfristig bekamen wir Post dazu von der Stiftung“, ärgert sich Kirsch und zeigt den Brief vom 20. Juni. Darin steht, dass der Stiftung die Räumlichkeiten und Flächen auf dem Gut ab 1. Januar 2018 nicht mehr zur Verfügung stünden. Wie die SZ erfuhr, werde die Werkstatt wohl schon bis Ende September geräumt. Übergangsweise, so heißt es in dem Brief, wird die Stiftung im Medizinischen Zentrum für Arbeit und Beruf am rund 600 Meter entfernten Klinikstandort im Kreischaer Ortsteil Zscheckwitz untergebracht.

„Es ist schade, dass wir rausmüssen aus dem Landgut, es ist wunderschön dort“, bedauert Kirsch. Es sei „eine große Veränderung“, das sei nicht einfach zu verdauen: „Vor allem, weil sie aus heiterem Himmel kam und wir relativ schnell umziehen.“ Experten wie Carsten Freitag von der Bonner ZNS–Hannelore Kohl Stiftung für Verletzte mit Schäden des Zentralen Nervensystem wundert diese Einschätzung nicht. „Die Flexibilität ist deutlich eingeschränkt bei Menschen mit solchen Hirnschäden“, sagt er. „Sie sind oft in Routinen verhaftet.“ Es falle ihnen daher leichter, in einer spezialisierten Einrichtung, die zudem noch den Reha-Gedanken verfolge, ihre Behinderung zu akzeptieren. Sie fördere auch die Motivation, das Antriebsverhalten. Freitag ist froh, dass es mit der Helene-Maier-Stiftung so ein Angebot für Hirnverletzte gibt, sie sei überregional bekannt.

Laut Susanne Beckert, die Verwaltungsleiterin der Helene-Maier-Stiftung, wird die Stiftung mit allen Mitarbeitern erst einmal erhalten bleiben. Alle zögen in den Übergangsstandort in Zscheckwitz um. Die offizielle Einweihungsfeier sei dort Ende Oktober geplant – kurz nach der entscheidenden Sitzung des Stiftungskuratoriums. Dort soll auch geklärt werden, wie es mit der Stiftungsarbeit weitergeht. Daher werde laut Stiftungsvorstand auch vorab keine Auskunft zu dem Thema geben. Das bestätigt Susanne Beckert auf Nachfrage.

Bereits im vorigen Jahr war der ökologische Landwirtschaftsbetrieb der Stiftung – aus finanziellen Gründen – eingestellt worden, der Hofladen schloss. Dennoch wird weiter Obst auf dem Gut geerntet und verkauft. Wer zudem eine seit diesem Jahr angebotene Himbeer- oder Brombeerpatenschaft übernimmt, könne noch immer kostengünstig selbst pflücken. „Das wird gut angenommen“, erklärt Susanne Beckert.