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Theater im Ausnahmezustand

Beim Bühnenball bekommt sogar die Teeküche eine Sondernutzung. Auch für die Leichtigkeit des Seins gibt es Vorschriften.

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© André Braun

Von Jens Hoyer

Döbeln. Einmal im Jahr immer im März wird im Theater alles auf den Kopf gestellt. Das Publikum tanzt dann auf der Bühne und feiert dort, wo sonst Kulissen verschoben werden. Selbst die Teeküche des TiB, ein fensterloses Räumchen tief im Bauch des Theaters, wird dann zum Aufführungsort für Kleinkunst. Für Berno Ploß, Technischer Leiter des Döbelner Theaters, ist der Bühnenball der Ausnahmezustand. Alles muss im Haus funktionieren und dabei trotzdem sicher sein. „An so einem Tag sind ja auch viel mehr Leute als sonst im Haus“, sagte Ploß. Das Foyer steht voller Stühle – und trotzdem müssen Fluchtwege frei bleiben. Das ganze Haus ist dekoriert – aber die Türen dürfen davon nicht blockiert werden. „Die Vorschriften muss man immer mit im Kopf haben“, sagte Ploß.

Und Vorschriften gibt es für Theater eine Menge. Technik kommt hier mit vielen Menschen in geschlossenen Räumen zusammen. Ploß ist auch Bühnenmeister. Als er vor vier Jahren in Döbeln anfing, hatte er sich weitergebildet. Fünf Wochen Schule in Berlin, danach Selbststudium und Prüfung. „Zum großen Teil besteht die Ausbildung aus Sicherheitsvorschriften – Brandschutz, Bauverordnung, Versammlungsstättenverordnung“, sagte Ploß. Ein Bühnenmeister lernt aber auch, wie Bühnenbilder hergestellt werden. Schwer entflammbar müssen die sein und sich gut transportieren lassen. Er muss Zeichnungen und Skizzen anfertigen können. „Und er muss sich gut mit Regisseuren und Bühnenbildnern verstehen“, sagte Ploß. „Einen Satz muss der Bühnenmeister aus seinem Vokabular streichen: Das geht nicht. Ein Bühnenmeister ist nicht dafür da, etwas zu verhindern, sondern etwas möglich zu machen.“

Normalerweise darf auf der Bühne nicht mal eine Kerze brennen. Aber was, wenn doch eine brennende Kerze gebraucht wird? „Dann muss man die Gefährdung kompensieren. Der Schauspieler läuft mit der brennenden Kerze immer nur den vorgegebenen Weg. Neben der Bühne steht ein Eimer Wasser und jemand beobachtet die Szene die ganze Zeit“, erzählt Ploß. Rauchen auf der Bühne – eigentlich ein Unding. Glut könnte herunter in eine Ritze fallen und einen Schwelbrand auslösen. „Das muss so geprobt werden, dass keine Asche herunterfällt. Und im Aschenbecher ist immer ein bisschen Wasser.“

Von den meisten Vorsichtsmaßnahmen wird der Zuschauer nie etwas merken. Der Eiserne Vorhang hängt über der Bühne – mit der Wellblechwand kann im Brandfall die Bühne vom Zuschauerraum abgeschottet werden. „Vor jeder Vorstellung wird er im Beisein der Feuerwehr runtergelassen“, sagte Ploß. Eine Menge Akkumulatoren sorgt dafür, dass die Notbeleuchtung auch bei einem Stromausfall leuchtet. Die Zwangsentlüftung und die Pumpe für die sogenannte Sprühflutanlage der Bühne werden durch ein Notstromaggregat betrieben. Die Wartung der Technik und die regelmäßigen Überprüfungen machten einen beträchtlichen Teil der Kosten aus, sagte Ploß. Es gibt selbstschließende Türen, Sicherheits- und Brandschutztechnik, Feuerlöscher. „Die Wandhydranten müssen jetzt wieder überprüft werden“, erzählt Ploß.

Zwischen der ganzen Hochtechnologie mutet die Bühnentechnik archaisch an. Die stammt wohl aus den 60er Jahren, meint Ploß. Neben der Bühne sind die sogenannten Handkonterzüge zu sehen – an den dicken Hanfseilen mit Gegengewichten lassen sich Kulissenteile von oben herablassen. Die Schauspieler und Sänger spielen also immer unter schwebenden Lasten. „Das ist alles mit zehn- oder zwölffacher Sicherheit ausgelegt. Es würde nicht schön aussehen, wenn Romeo und Julia mit Bauhelmen auf der Bühne stehen müssten“, meint Ploß.

Wenn Not am Mann ist, setzt Ploß auch mal selbst eine Inszenierung ins rechte Licht – Beleuchtungsmeister ist er nämlich auch. Dutzende Scheinwerfer mit 40 bis 70 Kilowatt Leistung bestrahlen die Szenerie – wenn auch nicht alle gleichzeitig. „Die Beleuchtung muss der Inszenierung dienen und die Schauspieler müssen gut zu sehen sein“, sagt er. Farben werden eingesetzt und Konturen betont. Seitliche Scheinwerfer geben der Bühne Tiefe, erklärt Ploß.

Herr über all diese Technik ist während der Aufführung der Inspizient, der für den Zuschauer unsichtbar an einem Pult neben der Bühne steht und punktgenaue Anweisungen gibt. „Er liest den Text ständig mit und kann nicht ertragen, wenn sich Leute hinter ihm unterhalten. Das ist ein Arbeitsplatz, der höchste Konzentration erfordert“, erzählt Ploß. Auf einem alten Röhrenfernseher kann der Inspizient sehen, was auf der Bühne vor sich geht. Auf seine Anweisung hin wechseln die Lichtstimmungen, werden Töne eingespielt und Umbauten vorgenommen. Er ruft per Lautsprecher die Schauspieler auf die Bühne. „Der muss sehr fit sein. Bei einer Oper über zweieinhalb Stunden kann 200 Mal die Lichtstimmung wechseln“, erzählt Ploß.

Im vorigen Jahr war Star Treck das Thema beim Bühnenball, im März heißt es „Ein Maskenball“. Zum Umbau kommen auch Leute aus Freiberg, die eigentlich nie in Döbeln sind. Zum Beispiel die Dekorateure. „Die haben hier sonst nichts zu tun“, sagte Ploß. Eine Woche vor dem Bühnenball wird das ganze Theater umgekrempelt. „Normalerweise erkennt man dann hier nichts mehr wieder“, sagte Ploß.

Berno Ploß führt jeden ersten Montag im Monat Besucher durch das Theater. Beginn ist um 16.30 Uhr. Auch Gruppen können sich zu Führungen anmelden. Der Bühnenball ist in diesem Jahr für Sonnabend, 23. März, 19.30 Uhr geplant.