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Theater hinter Gittern

In der JVA Zeithain proben Gefangene für den großen Auftritt. Einen Text lernen müssen sie dafür nicht.

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© Sebastian Schultz

Von Christoph Scharf

Zeithain. Die Hände sind zur Faust geballt, an den Oberarmen treten die Muskeln hervor. Die Männer haben tief eingeatmet – und rühren sich nicht vom Fleck. Auf einer Frau, die wie beim Aerobic die Bewegungen vorgibt, ruhen alle Augen. Soweit man das Erkennen kann: Denn die Gesichter der vier Männer verbergen sich hinter weißen Theatermasken. Ein gleichmäßiges Atmen ist zu hören, dann fallen die Arme auf einen Schlag nach unten, Schultern werden schlaff, die Köpfe hängen. „Man kann Emotionen auch ohne das Gesicht ausdrücken, nur mit dem Körper“, sagt Uwe Ziegler. Der 50-Jährige leitet die Theater-AG – die so ziemlich einzigartig sein dürfte.

Denn bei den Schauspielern handelt es sich nicht um Teilnehmer eines Volkshochschulkurses, sondern um verurteilte Strafgefangene. Einer hat in der JVA Zeithain noch ein paar Monate vor sich, einer wird hier noch bis Frühjahr 2020 sein. Delikte wie Betrug, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Gewaltstraftaten haben sie hergebracht. Das Theaterprojekt soll ihnen dabei helfen, nach der Entlassung möglichst nie wieder hinter Gitter zurückzumüssen. Was hat mich auf die schiefe Bahn gelenkt? Wie gehe ich mit Misserfolgen um? Wie kann ich Anerkennung bekommen, auch ohne dafür Mist bauen zu müssen? „Mit solchen Fragen beschäftigen wir uns“, sagt Uwe Ziegler, der in der JVA als Kunsttherapeut angestellt ist. Die Anstalt ist deutschlandweit dafür bekannt, mit ungewöhnlichen Projekten an der Resozialisierung zu arbeiten: Dort züchten Gefangene Speiseschnecken, betreuen vorbeikommende Pilger, entwickeln und bauen Brettspiele.

Das Theaterprojekt aber ist das aufwendigste: Nur einmal im Jahr kann es sich die JVA leisten, eine ganze Reihe von Gefangenen aus dem Alltag von Arbeit und Ausbildung zeitweise herauszunehmen, um sie fast drei Monate lang für die Premiere proben zu lassen. Seit Anfang Oktober wird zweimal wöchentlich geprobt, teils ganztags von 9 bis 16 Uhr. Ab jetzt stehen sogar tägliche Proben an – denn am 15. Dezember ist Premiere. Dafür bleibt die Turnhalle – auch so eine gibt es dort – wochenlang gesperrt. Die Fußball-, Volleyball-, Laufgruppen haben so lange das Nachsehen.

Man könnte meinen, das gibt Ärger bei den Mitgefangenen. Tatsächlich aber stoßen die jährlichen Aufführungen auch bei den anderen Insassen auf reges Interesse. „Die hören aufmerksam zu, da gibt es keine bösen Zwischenrufe oder hämisches Gelächter“, sagt Uwe Ziegler. Bei den Aufführungen in der JVA Zeithain waren aber auch schon Gäste aus dem Ausland dabei, etwa aus den USA. „Die haben gestaunt, was bei uns alles möglich ist“, sagt JVA-Sprecher Benno Kretzschmar. Denn bei zwei Aufführungen ist auch die Öffentlichkeit willkommen. Jeweils um die 100 Leute werden dann durch die Sicherheitsschleuse in die Anstalt geschleust. „Das wäre in amerikanischen Anstalten undenkbar!“

Leicht ist das Theater mit Gefangenen aber auch in Deutschland nicht: Von anfangs acht Darstellern sind nun bloß noch fünf übrig – einer wurde zwischenzeitlich nach Waldheim verlegt, einer ist krank, einer befindet sich „auf Schub“, wie die Tage oder Wochen dauernden Verlegungen zwischen verschiedenen Gefängnissen genannt werden. Im fortgeschrittenen Stadium neue Darsteller dazuzunehmen, ist allerdings ausgeschlossen. Dafür ist das Stück zu komplex – auch wenn die Schauspieler keine Texte lernen müssen.

Es unterscheidet sich sehr von „gewöhnlichem“ Theater, sagt der Kunsttherapeut. Das Stück sei eher experimentell – mit einstudierten Szenen aus dem Leben der Gefangenen, Texteinblendungen, Bildsequenzen. „Wir spielen so wie Charlie Chaplin, nur ernst“, sagt ein 36-Jähriger, der aus Hannover stammt. Das sei aber gar nicht einfach. „Das Leben hier stumpft viele ab: In einer JVA macht keiner einen auf Liebe oder einen auf Trauer.“

Viele würden denken, hinter Gittern säßen eh „nur Knackis“, ergänzt ein 31-Jähriger aus Freiberg. „Dabei sind nicht alles schlechte Leute hier – viele sind Familienleute, gehen arbeiten – und haben nur einmal was falsch gemacht.“ Jetzt gelte es, die Strafe abzusitzen – und das Beste draus zu machen. Zum Beispiel im Theaterkurs.