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Theater-Gewinner erobert Görlitzer Gleise

Für Ulrich Kind ging ein Traum aus frühester Jugend in Erfüllung: Er steuerte eine Straßenbahn.

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© nikolaischmidt.de

Von Ralph Schermann

Görlitz. „Seit meinem vierten Geburtstag haben es mir Straßenbahnen angetan, und schon immer mal wollte ich Fahrer sein“, sagt Ulrich Kind. Jetzt endlich, wo seine Lebenslinie langsam die 79. Haltestelle ansteuert, wurde der Wunsch erfüllt: Am Sonnabend saß Ulrich Kind ganz vorn an den Fahr- und Bremsschaltern einer Görlitzer Tatrabahn.

Als Schulkind hatte sich seine Mutter um die Träume von Ulrich gesorgt. „Da war ich ausgebüxt und bin einen ganzen Tag auf Straßenbahnen mitgefahren“, erinnert sich der heutige Wunschpilot. Das war in seinem Geburtsort Magdeburg, und bald schon kannte er damals dessen gesamtes Schienennetz auswendig.

Er begeisterte sich für die Frauen und Männer, die damals noch die Kurbeln drehten oder an sogar in der Oberlausitz gebauten Bahnen namens „Hecht“ Fahrknöpfe drückten.

Auf seinen späteren Stationen als Diplomingenieur in Forschungszentren von Leipzig oder Chemnitz scheint ihm seine berufliche Zeit in Köthen am wenigsten gefallen zu haben: Köthen hat keine Tram.

Aber Görlitz hat eine solche Bahn und erfreute Ulrich Kinds Wechsel 1988 in den damals weithin bekannten Maschinenbau der Neißestadt. Der Traum, mal selber eine „Elektrische“ zu steuern, ließ ihn noch immer nicht los, auch nicht als Rentner. Und nun kam eine zweite, ihn in Görlitz prägende Begeisterung gerade recht. „Ich unterstütze das tolle Straßentheaterfestival ViaThea“, bekennt er. Ein Förderverein gründete sich 2008 dafür und besteht zurzeit bereits aus 70 Mitgliedern. Ulrich Kind war der erste, der zugriff, als im März bei einer Versteigerung zugunsten ViaTheas das Fahren einer Tram unter den Hammer kam. Er ließ nicht locker und mit 350 Euro alle anderen Gebote hinter sich.

Die große Stunde

Jetzt kam seine große Stunde. Anlässlich des 80. Geburtstages seiner Frau kutschierte er die komplette Feiergesellschaft per Sonderfahrt durch Königshufen, Biesnitz und die Südstadt – überall selbst am Steuer, freilich nur auf den Abschnitten, wo die Bahngleise neben und nicht mitten auf den Straßen verlaufen.

„Bei regennassen Schienen ist Anfahren und Bremsen gar nicht so leicht“, erklärt sein Betreuer am Steuer, Wieslaw Kowalik von der Betriebsaufsicht der VGG: „Doch Herr Kind macht das prima.“ Das fanden auch seine Fahrgäste: „Kein Ruckeln, kein Schuckeln.“ Zwar hat so ein Wagen vom Typ KT4D weder Kurbeln noch sonstige Kindheitserinnerungen, doch auch per Steuerung über eine Art Joystick bewältigte Ulrich Kind die Runden souverän. Als ob er seit seinem vierten Lebensjahr dafür geübt hätte.