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Teuflische Kristalle

Über die deutsch-tschechische Grenze wird tonnenweise Crystal geschmuggelt. Der Konsum der Droge hat fatale Folgen.

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© dpa

Von Thomas Möckel

Ronny steht auf der Bühne – bei der von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Podiumsdiskussion will er vor mehreren Hundert Eltern und Schülern über seine Vergangenheit, die ihn beinahe vollends zerstörte, berichten. Ronny, 28, wirkt fahrig, streicht ständig mit den Fingern durch das Haar, er entschuldigt sich beim Publikum, dass er so nervös ist. Noch vor einem reichlichen Jahr wäre ihm das nicht passiert, da war er cool, fühlte sich hammerstark, Angst und Schmerzen kannte er nicht – allerdings immer nur dann, wenn er „drauf“ war. Der Dresdner konsumierte heftig die Droge Crystal Meth, jenes weiße kristalline Zeug, das die Schleimhäute zerfetzt und die Gehirnzellen wegbombt. Elf Jahre lang kam Ronny nicht weg von der Droge, und ihm drohte ein fatales Ende: Ronny war drauf und dran, seine Wohnung, das Sorgerecht für seine Tochter und damit sein ganzes bisheriges Leben zu verlieren. Ein Fall, wie es ihn auch im Rödertal etliche gibt. Aber nur die wenigsten trauen sich wie Ronny in die Öffentlichkeit.

Was verbirgt sich eigentlich hinter Crystal Meth?

Kristallines Metamphetamin, besser bekannt als Crystal Meth, ist eine chemisch hergestellte Substanz. Einst unter dem Namen Pervitin als Arzneimittel erfunden, war es unter anderem Alltagsbegleiter deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg, weil es die Leistung steigert und das Schmerzempfinden dämpft. Heute wird der Stoff als euphorisierende und stimulierende Droge missbraucht. Crystal ist ein weißes Pulver, das aus winzig kleinen Kristallen besteht. Der Unterschied zu Zucker und Salz: Verreibt man Crystal zwischen den Fingern, wird es leicht schmierig.

Rauschgiftdelikte

2015 registrierte die Polizei im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 353 Rauschgiftdelikte. Die Dunkelziffer ist aber höher.

318 Tatverdächtige im Zusammenhang mit Rauschgiftdelikten ermittelten die Fahnder im vergangenen Jahr. 83 Prozent der Tatverdächtigen waren Deutsche, 17 Prozent Ausländer.

Die Aufklärungsquote bei diesen Delikten lag bei 94 Prozent.

Quelle: Polizei

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Wie kommen die illegalen Drogen nach Deutschland?

Laut Ralf Müller von der Polizeidirektion Dresden, der regelmäßig Schüler und Eltern über Drogenmissbrauch aufklärt, wird das meiste Crystal in tschechischen Drogenküchen unweit der Grenze hergestellt. Das Geschäft ist fest in der Hand der vietnamesischen Mafia, der Verkauf läuft über die Asia-Märkte an der Grenze. Um Crystal anzubieten, machen die Verkäufer auch vor Minderjährigen nicht halt: So wurde der Stoff zwei 13-jährigen Mädchen aus Sebnitz auf einem Markt in Dolni Poustevna angeboten. Und der Nachschub scheint unbegrenzt: In Tschechien werden nach Schätzungen jährlich zehn bis zwölf Tonnen Crystal für den deutschen Markt hergestellt. Wie Karin Meyer von der auch fürs Rödertal zuständigen Bundespolizeidirektion Pirna berichtet, wird der Stoff eher in kleinen Mengen ins Land geschmuggelt. Schwerpunkte im Kreis sind die Autobahn A 17, die Bahnstrecke durchs Elbtal und der Fernverkehr, der über Schmilka rollt. Erfahrungsgemäß werden in Zügen kleinere Mengen, in Autos größere Mengen geschmuggelt – dort gibt es mehr Verstecke. So kommt die Droge dann auch in den Raum Radeberg.

Wer konsumiert hauptsächlich diese Droge?

Nach Auskunft von Ralf Müller ist Crystal als Hauptdroge weiter auf dem Vormarsch. Das Pulver hatte nahezu sämtliche andere illegale Drogen verdrängt. Laut Sven Kaanen ist Crystal keine Milieudroge. Sie wird in allen Kreisen konsumiert, vor allem von jenen, die täglich hohe Leistungen bringen müssen. Allerdings haben sich die Mengen verändert. Nahmen Süchtige vor Jahren noch etwa ein Gramm wöchentlich, sind es jetzt oft fünf Gramm am Tag.

Wann setzt die Wirkung der Droge ein und wie lange dauert sie an?

Wird Crystal über den Mund eingenommen, tritt die Wirkung nach etwa 30 Minuten ein. Zieht man es durch die Nase (sniefen), wirkt die Droge nach ein bis fünf Minuten. Wird das Zeug inhaliert, setzt die Wirkung zwischen einer halben und einer Minute ein, ebenso, wenn Crystal intravenös gespritzt wird. Laut Medizinern gibt es derzeit auch einen gefährlichen Trend: Süchtige bauen sogenannten „Bomben“. In einen weichgekauten Kaugummi wird Crystal eingebettet und dann geschluckt. Löst sich der Kaugummi im Magen auf, tritt die Wirkung schlagartig ein – mit teils verheerenden Folgen. Und die Zahl jener, die Crystal spritzen, steigt, zeigen Statistiken.

Zu welchen Preisen wird die Droge Crystal gehandelt?

Crystal wurde gleich hinter der Grenze lange Zeit für 15 bis 25 Euro je Gramm verkauft, inzwischen sind die Preise teilweise auf acht Euro gesunken, so die Polizei. Allerdings wird der Profit größer, je weiter es ins Landesinnere gelangt: Vom Verkaufswert gesehen ist ein Gramm Crystal in Dresden dann schon 100 Euro wert, in Berlin 120, in der Schweiz gar 300 Euro. Um den Profit zu erhöhen, wird die Droge häufig gestreckt – überwiegend mit Rohrreiniger. Es ist eine perfide Masche: Rohrreiniger lässt kleinste Gefäße im Körper platzen, damit vergrößert sich die Aufnahmefläche für die Drogen.

Ab wann macht Crystal-Missbrauch abhängig?

Ärzte waren: Crystal macht vor allem körperlich abhängig. Oft schon reicht einmaliger Missbrauch, um nicht mehr davon wegzukommen. 35 Prozent der Erstkonsumenten werden nach dem ersten Mal dauerhaft süchtig.

Wie wirkt die Droge Crystal auf den Körper?

Die Droge hat fatale Wirkungen: Sie versetzt den Körper in einen Zustand, den er sonst nur in lebensbedrohlichen Situationen einnimmt. Alles, was nicht lebensnotwendig ist, wird unterdrückt: Müdigkeit, Hunger, Durst, Schmerzempfinden. Konzentration, Aufmerksamkeit. Aggressivität und Gewaltbereitschaft werden hingegen erhöht. Das Urteilsvermögen wird jedoch drastisch herabgesetzt, die sexuelle Erregbarkeit steigt zudem enorm.

Welche Folgen hat der ständige Missbrauch?

Er führt zunächst zu Psychosen, Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Denkstörungen. Zuviel Missbrauch führt oft zu medizinischen Notfällen. Es gibt ausgeprägte Erregtheit, Angstzustände, Verwirrtheit, paranoide Zustände, Herzinfarkte, Hirnblutungen. Die Leistungsfähigkeit vermindert sich auf Dauer, die Persönlichkeit verändert sich, Aggressionen nehmen zu, Denk- und Lernvermögen lassen stetig nach.

Wohin können sich Eltern drogenabhängiger Kinder wenden?

Ralf Müller von der Polizeidirektion Dresden empfiehlt, zunächst eine der Suchtberatungsstellen aufzusuchen. Obwohl selbst Polizist, rät er davon ab, gleich zur Polizei zu gehen. Denn dann würde automatisch eine Ermittlung beginnen, damit wäre das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kind wohl schon von Anfang an zerrüttet.

Wo werden von Crystel-Sucht Betroffene im Rödertal behandelt?

Betroffene können sich unter anderem im psychiatrischen Krankenhaus in Arnsdorf therapieren lassen. Hier gibt es längst ein Ärzteteam, das sich auch speziell mit dem Thema Crystal befasst. Und auch aus der Arnsdorfer Klinik heißt es in Sachen Fall-Zahlen: Tendenz steigend …

Obwohl dauersüchtig, überwog bei Ronny letztendlich die Sorge um seine Tochter. Kurz bevor man sie ihm wegnehmen wollte, schaffte er den Absprung. Seither lässt er sich therapieren, über ein Jahr ist er schon clean, der Entzug war teilweise ein Höllentrip. Aber Ronny will das Zeug nie wieder anfassen. Das hat er seinem Kind versprochen. (mit SZ/JF)