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Terrorgruppe wähnte sich sicher

SPD-Politikerin Susann Rüthrich fordert zum Abschluss des NSU-Untersuchungsausschusses einen Lernprozess bei den Behörden.

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© Bundestag

Frau Rüthrich, mit welchen Gefühlen beenden Sie jetzt vorerst Ihre Mitarbeit im dritten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages?

Mit dem Gefühl, das es wichtig bleibt, an diesem Thema dranzubleiben und dafür das Instrument der Untersuchungsausschüsse im Bund und den Ländern zu nutzen. Meiner Einschätzung nach ist für die Zukunft nicht ausgeschlossen, dass sich die Fehler und das Versagen wiederholen, welche es dem NSU-Trio solange ermöglicht haben, unentdeckt zu morden. Aus den Aussagen vieler Behördenvertreter und Zeugen ist für mich deutlich geworden, wie wenig diese bislang über die Umstände reflektiert haben, die zu dieser Verbrechensserie führten. Da habe ich einfach ein ganz anderes Verständnis von dem rechtsextremen Gewalt- und Bedrohungspotenzial, welches weiterhin besteht.

Was war für Sie das emotionalste Erlebnis in den vergangenen Monaten?

Die Auftritte einiger sogenannter Bürgerzeugen haben mich immer wieder schockiert. Wenn erzählt wurde, wie der Besuch von Rechtsrock-Konzerten, wie rechtsradikale Kundgebungen oder Ausländerjagden zum ganz normalen Alltag gehörten, woran sich kaum jemand störte, dann ist es mir schwergefallen, ruhig zu bleiben. Das zieht Kreise bis zum Verfassungsschutz, wo meiner Ansicht nach die Gefährlichkeit und politische Haltung einiger V-Männer völlig falsch eingeschätzt und verharmlost wurde. Die Folgen haben wir dann gesehen.

Sie sind mit dem Ziel angetreten, mehr über die Unterstützer des NSU herauszufinden. Ist dies möglich gewesen?

Ich denke, dem Ausschuss ist es gelungen aufzuzeigen, wie das NSU-Trio in der Region vernetzt war. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sind ja nicht zufällig in Westsachsen untergetaucht. Sie wiegten sich dort in Sicherheit und konnten auf Helfer und Unterstützer zählen. Selbst wenn diese Fakten nicht immer und sofort zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft führen, so beleuchten sie doch den Hintergrund und helfen, die politischen und sozialen Ursachen noch besser zu verstehen.

Ein weiteres Anliegen war es Ihnen, die Perspektiven der Opfer stärker einzubringen. War das möglich?

Bei meinen Fragerunden habe ich mich immer erkundigt, weshalb die Ermittlungsbehörden in vielen Fällen in erster Linie in Richtung der Familien der Opfer ermittelten. Es ging mir darum herauszuarbeiten, welche Klischees dahinter stecken, wenn eine Familie, die in Bahnhofsnähe wohnt, sofort mit dem Drogen-Milieu in Verbindung gebracht wird, obwohl in der Straße gleichzeitig drei überörtlich bekannte Nazis wohnen. Steckt dahinter vielleicht ein strukturell bedingter Rassismus? Solche geistigen Kurzschlüsse müssen analysiert, daraus muss gelernt werden.

Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit des Ausschusses mit dem Bundesverfassungsschutz ? Teilweise erschienen dessen Mitarbeiter nicht zu den Sitzungen oder meldeten sich krank.

Mitunter war der Krankenstand tatsächlich auffällig hoch. Dann haben wir die Termine eben verschoben und später nochmals eingeladen. Auf der persönlichen Ebene habe ich die Zusammenarbeit mit den einzelnen Mitarbeitenden und Vertretern im Ausschuss als kollegial empfunden. Strukturell gab es aber Schwierigkeiten, etwa wenn Akten spät oder extrem geschwärzt geliefert wurden, so dass sich die Mitglieder des Ausschusses nicht richtig vorbereiten konnten.

Aktuell beschäftigen sich auf Bundes- und Länderebene sieben Parlamentsausschüsse mit dem Thema. Ist diese Häufung nicht eher kontraproduktiv?

Nein, im Gegenteil , sie ist notwendig und zielführend. Für die jetzt erreichte Detailtiefe brauchte es die Arbeit sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene. Die Länderausschüsse haben ja andere Aufgaben. Sie betrachten ihre Landesbehörden und die einzelne Region. Wir auf Bundesebene betrachten Bundesbehörden und das Zusammenspiel der Länder sowie den NSU-Komplex im Ganzen. Die Ausschüsse haben sich zudem untereinander abgesprochen, um Dopplungen zu vermeiden.

Das Gespräch führte Peter Anderson.