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Tausende Bücher gerettet

Rund 5 000 Exemplare aus dem Nachlass des Radebeulers Joachim Richter sind nach Dresden umgezogen. Dort macht sie ein Kulturverein der Öffentlichkeit zugänglich.

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© Arvid Müller

Von Ulrike Keller

Radebeul/Dresden. Er hat es versucht. Bei seinem ersten Besuch in der Radebeuler Wilhelmstraße 8 wollte sich Benjamin Bellee einen Überblick verschaffen. Einen Überblick über den riesigen Bestand an Büchern, den der bekannte Radebeuler Joachim Richter mit seinem Tod im November hinterlassen hat. Doch es brauchte keine fünf Minuten, bis der 31-Jährige wusste: Das mit dem Überblick ist unmöglich. Er nimmt sie alle.

Sein Leben lang verschlang Joachim Richter Bücher aller Genres, themenübergreifend. Bücher, die er sich zu DDR-Zeiten auch aus anderen sozialistischen Ländern mitbrachte. Es gab wenig, was ihn nicht interessierte. Und für all das bewies er einen bemerkenswert langen Atem. Über Jahrzehnte radelte und schwamm er täglich, über Jahrzehnte leitete er den Radebeuler Filmklub, über Jahrzehnte verfasste er Texte, besonders bei den Schreibenden Senioren, wo sein Talent hervorstach.

Diese Leidenschaft fürs Lesen füllte über die Zeit Wandregale in vielen Zimmern seines Hauses. Etliche Erinnerungsstücke hatten sich bereits Angehörige und Freunde herausgesucht. Dennoch waren für Benjamin Bellee noch 89 große Ikea-Tüten und 15 Kisten vollzupacken.

Nah bei Ringelnatz und Kästner

Sie zogen diese Woche hinter die Radebeuler Ortsgrenze, nach Dresden-Pieschen. Dort sind Benjamin Bellee und einige Gleichgesinnte in dem Kulturverein Jugendwelten aktiv. Der bietet Raum für jeden, der sich kulturell verwirklichen will. So finden sich Leute zusammen, um Konzerte, Lesungen, Ausstellungen zu organisieren. Dazu betreibt der Verein unter anderem eine kleine Bibliothek. Und in dieser werden die gesammelten Werke aus dem Nachlass von Joachim Richter in nächster Zeit ein öffentliches Plätzchen bekommen. Zumindest 30 bis 50 Prozent der Bücher.

Ein Drittel seines aktuellen Bestands will Benjamin Bellee durch sie ersetzen. „Und den Rest verteile ich in Pieschen“, sagt er. Etwa an ein Café und an Adressen, die es zu schätzen wissen. Was er fest verspricht: „Ich schmeiße nix weg.“ Genau das war das Grundansinnen von Julia Franke, der Nichte Joachim Richters. Die 33-jährige Dresdnerin setzte viel daran, die riesige Büchersammlung ihres Onkels zu retten.

Kurz nach seinem Tod regte sie bereits eine Neuauflage des kleinen feinen Lyrikbands „Liebe und so“ an. Damit setzte sie eines seiner letzten Vorhaben um. Im Dezember erschien das Büchlein in dritter Auflage im Notschriften-Verlag. Es bestätigt Wolfgang Zimmermann, der Joachim Richter einst als den Mann für den feinsinnigen Humor bezeichnete und dessen Stil nah bei Ringelnatz und Kästner verortete.

In dieser Originalität wird er im aktuellen Radebeuler Mosaik-Heft 18 der Schreibenden Senioren (fast) noch einmal lebendig. Abgedruckt sind seine letzten Veröffentlichungen.

Nach wie vor lässt sich dem humorigen Wesen von Joachim Richter auch in Ullis Alter Gärtnerei in Kötzschenbroda begegnen. Dort ist er in Bild und Vers im Verkaufsraum verewigt. Und in der Pieschener Bibliothek plant Benjamin Bellee ihm zu Ehren noch eine kleine Erinnerungstafel.

„Liebe und so“ ist unter anderem in der Buchhandlung Kretzschmar auf der Bahnhofstraße erhältlich, zu 6 Euro.

Die Bibliothek des Jugendwelten e.V. in Dresden-Pieschen befindet sich auf der Oschatzer Straße 15. Geöffnet ist sie immer donnerstags bis sonntags am Nachmittag.