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Taubenfalle Hauptbahnhof

Hinter Abwehrnetzen sind Vögel gefangen, darunter mindestens ein Küken. Am Donnerstag sind sie offenbar gestorben.

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© Christian Juppe

Von Sandro Rahrisch

Seit Donnerstagmorgen gibt es kein Lebenszeichen mehr. Von dem Tauben-Küken, das hinter Netzen am Hauptbahnhof gefangen ist, fehlt jede Spur. Bis zuletzt hatten andere Tauben von außen versucht, das Jungtier durch die Maschen zu füttern. Nicole Bódi vom Tierschutzverein „Anima“ befürchtet, dass es zu geschwächt ist, um aufzustehen, und im Sterben liegt.

Der Kampf um das Leben des Küken dauert seit dem Wochenende. Passanten hatten das Tier zwischen Pfeiler und Eisenbahnbrücke in etwa vier Metern Höhe entdeckt. Die Flucht hat die Deutsche Bahn durch ein Netz absperren lassen, eben damit dort keine Vögel brüten. Doch irgendwo muss es ein Loch gegeben haben, durch das die Tauben hindurchgelangen konnten. Später wurde es offenbar wieder geschlossen, die Vögel blieben in dem Spalt. Von einer weiteren, ausgewachsenen Taube, die sich mit dem Jungtier darin befand, gibt es bereits seit Sonntag kein Lebenszeichen mehr.

„Man muss Tauben nicht mögen“, sagt Nicole Bódi. „Aber nicht einmal ein Vogel hat es verdient, auf diese Art zu verhungern.“ Tierschützer informierten bereits am Sonnabend das Veterinäramt. Dort sei ihnen für Montag Hilfe zugesichert worden, da die Deutsche Bahn als Hausherr nicht früher erreichbar wäre. Die Bahn soll dann Anfang dieser Woche behauptet haben, das Netz geöffnet und Tiere befreit zu haben. Doch das Küken befand sich offensichtlich immer noch in derselben misslichen Lage wie vorher.

„Am Mittwoch haben wir dann die Feuerwehr gerufen“, sagt Nicole Bódi. Die kam auch, wie Feuerwehrsprecher Rainer Jonas bestätigt. Viel konnten die Einsatzkräfte allerdings nicht ausrichten. „Es gab keine Möglichkeit, an das Junge heranzukommen, es war für uns nicht sichtbar.“ Der Spalt ist dunkel, schlecht einsehbar und reicht wohl meterweit bis zum Hauptbahnhof heran. „Die Bahn ist eigentlich dafür verantwortlich, dass so etwas nicht passiert“, so Jonas.

An einer Stelle haben die Feuerwehrmänner zwar das Netz von der Befestigung gelöst, sodass ein kleiner Durchschlupf entstand, so die Tierschützer. „Eine kleine Chance zum Überleben war das“, sagt Sergej Würtz von „Anima“. Allerdings sei das Netz bereits drei Stunden später wieder verschlossen gewesen und das Küken immer noch gefangen.

Die Deutsche Bahn hat mit Tauben ihre eigenen Erfahrungen gesammelt. Die Tiere fliegen immer wieder ins Gebäude auf der Suche nach Nahrung. Dabei hinterlassen sie auch Kot und Federn. Unter ihrem Glasfaserdach und um die Stahlträger herum hat das Unternehmen deshalb Netze anbringen lassen, um die Vögel fernzuhalten und insbesondere das Nisten möglichst unattraktiv zu machen.

Doch immer wieder finden die Tauben Schwachstellen, gelangen darunter und finden nicht wieder hinaus. Schon einige sind in den Netzen verendet. Diese Schwachstellen kennt die Bahn. „Eine lückenlose Sicherung der Gebäudeteile gelingt nicht immer“, sagt Sprecher Jörg Bönisch. Er bestätigt, dass die Feuerwehr sowie Bahn-Mitarbeiter versucht haben, die gefangenen Tiere zu befreien. „Sie konnten sie jedoch nicht entdecken.“

Entfernen wolle die Bahn die Netze nicht, wie das Unternehmen im vergangenen Jahr der SZ mitteilte. Dass Tauben in den Netzen sterben, komme sehr selten vor, hieß es damals. Und falls sich Tiere verfangen, würden Bahnmitarbeiter sie sofort befreien. Stadttauben seien generell ein Problem im Bahnhof. Deshalb seien vor zehn Jahren die Taubenabwehrnetze zum Schutz des Stahltragwerks angebracht worden. Auch dem Dresdner Veterinäramt ist das Problem bekannt. Die Mitarbeiter würden im Kontakt mit der Bahn stehen und versuchen, eine Lösung zu finden, sagte ein Rathaus-Sprecher am Donnerstag.

Der Verein „Anima“ hat inzwischen Anzeige gegen die Deutsche Bahn erstattet, wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. Demnach sind Vergrämungsnetze zwar nicht verboten. Sie dürfen aber nicht dazu führen, dass Vögel dadurch ums Leben kommen, ist „Anima“ überzeugt. „Ich unterstelle der Bahn ja gar nicht eine böse Absicht“, sagt Nicole Bódi. „Aber wenn alles Bitten und Betteln nicht reicht, die Taube zu befreien, gehen wir zur Polizei.“

Laut SZ-Informationen wollte die Bahn am Donnerstagabend einen neuen Befreiungsversuch starten und über ein Rollgerüst an die Flucht gelangen. Die Tierschützer befürchten, dass es eine Bergungsmission werden könnte. Wie viele Stadttauben es in Dresden überhaupt gibt, lässt sich laut Umweltamt nicht einschätzen. Durch Abriss und Sanierung alter DDR-Ruinen sei die Zahl im Vergleich zu den 90er-Jahren aber deutlich zurückgegangen. Das Füttern von Tauben ist in Dresden laut Polizeiverordnung verboten.