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Taub nach Schlägerei

Vor einer Bar geraten zwei Riesaer aneinander. Einer der beiden leidet bis heute unter den Folgen.

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© Symbolblild/dpa

Von Stefan Lehmann

Riesa. Es ist nicht mehr viel, an das sich Andre G.* erinnern kann. „Ich bin vor die Tür gegangen, um eine zu rauchen“, sagt er. „Als nächstes bin ich im Krankenhaus in Leipzig aufgewacht.“ Ruhig und sachlich schildert er vor dem Riesaer Schöffengericht, was er beim Blick in den Spiegel sieht: Das rechte Ohr ist stark geschwollen und voller Blut, die Schulter offenbar gebrochen. Auf dem rechten Ohr sei er heute taub, sagt der 23-Jährige. Das Problem wäre wohl mit einer Operation zu beheben. „Aber die ist aufwendig und risikoreich, deshalb habe ich mich dagegen entschieden.“

Dass es so weit kam, ist der folgenschweren Begegnung mit einem anderen Riesaer zu verdanken, die mittlerweile mehr als zwei Jahre zurückliegt. Weil sich Andre G. nicht mehr erinnern kann, ist das Schöffengericht auf die Aussagen der Zeugen angewiesen – und des Angeklagten Frank T.* Der wird an diesem Tag in Handschellen in den Gerichtssaal geführt: Er war zum zweiten Verhandlungstermin nicht aufgetaucht, woraufhin Amtsrichter Herbert Zapf einen Haftbefehl gegen ihn ausstellte. Nun sitzt der 21 Jahre alte Deutsche auf der Anklagebank – und erzählt seine Version jenes 3. Oktobers 2014. Nach dem Oktoberfest in der Sachsenarena seien er und eine Freundin auf dem Weg ins Pub an der Pausitzer Straße gewesen und von einer Gruppe Betrunkener angepöbelt worden. Er habe keinen Streit gesucht, beteuert Frank T. – doch dann sei Andre G. hinter ihm hergelaufen und habe ihm mehrere Faustschläge in den Rücken verpasst. In seiner Version der Geschichte versucht Frank T., den Betrunkenen zu beruhigen. „Ich hatte erst einmal sogar die Hände hinter dem Rücken, um zu zeigen, dass ich mich nicht prügeln will.“ Aber irgendwann reiche es eben jedem. Als G. weiter auf ihn losgegangen sei, da habe er eben die Schläge abgewehrt. „Wir haben uns dann umklammert, und ich bin auf ihn draufgefallen.“

Auf dem Bordstein sei Andre G. dann einfach liegengeblieben. „Ich habe ihm noch mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen und gesagt, dass er selbst schuld ist.“ Dann sucht T. das Weite – während G. bewusstlos am Boden liegt. Also alles nur ein „Missgeschick“, wie der 21-Jährige es selbst formuliert? Zeugen berichten da etwas anderes. Selbst die Freundin, mit der er gemeinsam feiern war, sagt aus, Frank T. hätte einmal zugeschlagen – wenn auch als Reaktion auf die Faustschläge in den Rücken. Danach sei Andre G. einfach umgefallen. „Ich habe dann auf den Krankenwagen gewartet, T. war einfach verschwunden.“ Eine weitere Zeugin, die keinen der Beteiligten näher kennt, will sogar einen Schlag gesehen haben, als das Opfer bereits am Boden lag. Viele widersprüchliche Aussagen also, aus denen das Schöffengericht schließlich sein Urteil bilden muss. Es sei ein schwieriger Prozess für das Gericht, sagt Anwalt Danny Graßhoff. Er vertritt den Geschädigten Andre G. als Nebenkläger.

Ein Urteil in dem Prozess soll voraussichtlich Anfang März fallen. Für Frank T. geht es dabei um einiges. Weil er schon mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, steht eine Freiheitsstrafe im Raum. Andre G. hat sich derweil so gut es geht mit seinem Schicksal arrangiert. Seinen Beruf als Lagerist könne er zum Glück trotzdem weiter ausüben. Sollte der Angeklagte verurteilt werden, will sein Verteidiger aber Schadenersatzansprüche geltend machen. Die lägen üblicherweise im fünfstelligen Euro-Bereich.

Namen geändert