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Taschenmonster erobern Kamenz

Das Handyspiel Pokémon Go verwandelt die Stadt in ein riesiges Spielfeld – und hält die Spieler ganz schön auf Trab.

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© Uwe Soeder

Von Reiner Hanke und Miriam Schönbach

Wildes Kamenz! In der Stadt wimmelt es seit Kurzem nur so vor kuriosen Tieren. Oft nicht größer als ein durchschnittlicher Teddy. Im Grunde scheu, aber wohl durchaus gefährlich in ihren Attacken. Diese Wesen heißen Pokémon und machen zum Beispiel den Schulplatz unsicher. Ein vogelartiges sogenanntes Taubsi wackelt frech vor der Stadtinformation herum. Nicht lange. Ein Pokémon-Jäger starrt schon gebannt mit Smartphone bewaffnet in die Richtung und jubelt kurz darauf über den Fang. Auch ein Grund, warum sich auf dem Platz immer mal wieder Trauben junger Leute am Internethotspot der Stadtinformation treffen. Da kann man sogar kostenlos die kleinen Monster aufspüren. Denn mit bloßem Auge sind sie nicht zu entdecken, sondern nur durch das Auge der Kamera im Smartphone. Das entführt die Pokémonjäger mit dem Programm Pokémon Go in die Welt dieser Monster und ermöglicht erst die Jagd.

In Kamenz wimmelt es vor merkwürdigen Kreaturen. Sie machen Straßen und Plätze unsicher und können durchaus gefährlich werden – wenn man sie nicht fängt. Das Taubsi wurde vor der Kamenzer Stadtinformation gesichtet.
In Kamenz wimmelt es vor merkwürdigen Kreaturen. Sie machen Straßen und Plätze unsicher und können durchaus gefährlich werden – wenn man sie nicht fängt. Das Taubsi wurde vor der Kamenzer Stadtinformation gesichtet. © Reiner Hanke

Pokémon Go ist ein Ableger, die neuste Kreation der bereits bekannten Konsolenspiele des japanischen Herstellers. Die Spieler bewegen sich durch die Stadt und nehmen mit der Kamera ihres Smartphones die Umgebung auf, die Software setzt in diese Bilder Figuren ein. Straßen, Plätze, das eigene Zimmer oder der Markt werden auf diese Weise zum Spielfeld für die Pokémons – in der deutschen Übersetzung würde man wohl Taschenmonster sagen.

Auch Anzugträger machen mit

Gefühlt muss wohl schon die halbe Welt mit dem Virus befallen sein. Nicht nur Kinder. Selbst Anzugträger irren mit dem Smartphone vor der Nase durch eine Parallelwelt, die von pfiffigen Programmierern mit unserer Realität verwoben wurde.

In Bautzen zog jetzt sogar eine ganze Jagdgesellschaft rund 80 Fans durch die Stadt und sorgte für Aufsehen. Die Autos bremsten vorsichtshalber als sich der Pulk übers Kopfsteinpflaster der Lauenstraße schob. Daneben eine Familie mit ihrem Kinderwagen. Auch ein paar ältere Semester sind dabei. Eines ist ihnen gemeinsam. Alle schauen wie in Kamenz an der Stadtinfo gebannt auf das Handy. „Wir müssen zum Frosch. Das ist unser neuer Pokéstop“, so Tobias Makswitat und steuert gezielt auf den Laden eines Goldschmieds zu. Der Froschkönig über dem Eingang ist das markante Erkennungszeichen der Werkstatt.

In Bautzen ist Machollo unterwegs

Tobias Makswitat ist 19 Jahre alt, er hat an diesem Abend zur ersten Pokémon-Go-Nachtwanderung eingeladen. Durch die Bautzener Altstadtstraße schwirrt zum Beispiel gerade Macholllo – eine grüne Kreatur, die ein wenig an einen Bodybuilder erinnert. Natürlich kann ihn nur sehen, wer das Spiel auf seinem Handy installiert hat. „Das ist eine eher seltene Figur“, erklärt Tobias Makswitat. Durch die Menge geht ein Ruck. Schließlich geht es in dem Spiel darum, die Monster zu fangen und sie dann zu trainieren. Deshalb nennen sich die Spieler auch Trainer.

Gestartet ist die bunte Truppe am frühen Abend am Springbrunnen vor dem Bautzener Theater. Dort befindet sich eine Arena, in der Pokémon-Teams gegeneinander antreten können. Die Monster können auch durchaus angriffslustig sein. Das Taubsi zum Beispiel mit Tackle oder Windhose Gegner attackieren und schwächen.

Viele Leute treffen sich

Es braucht nicht viele Worte. Man erkennt sich an den Smartphones. „Das ist das Tolle an diesem Spiel. Statt zu Hause auf dem Handy zu zocken, gehen wir raus und treffen jede Menge neue Leute“, sagt Nico Krahl. Der 22-jährige Zerspannungsmechaniker ist mit seinem Bruder Tony bei der Schnitzeljagd 2.0 dabei. Pokémon-Fans sind die beiden schon seit der ersten großen Welle: 1999 kam das Videospiel für den Gameboy in Europa auf den Markt und löste eine regelrechte Euphorie aus. Es gab Trickfilme, Plüschtiere, Karten, einen Kinofilm. Pikachu – eine gelbe Mischung aus Maus, Hase und anderen Nagetieren – avancierte zum Liebling einer ganzen Generation. – Pikachu ist auch bei dieser Nachtwanderung mit von der Partie. Das kleine Monster gehört übrigens zu den Elektro-Pokémons. Insgesamt gibt es 18 verschiedene Typen, manche sind nur an bestimmten Orten zu finden. Wasser-Pokémons, wie Quapsel, lieben Gewässer, Pflanzen-Monster dagegen eher die Natur.

Auf ihrem Weg laufen die Trainer immer wieder Pokéstops an. Dort können sie unter anderem Zauberkräfte für ihre Pokémons einsammeln. Ein solcher Anlaufpunkt ist auch die Ortenburg. Die Gruppe postiert sich um den Brunnen und sammelt ein, was sie bekommen kann. Nebenbei bekommt Jägerin Sarah Eißler noch einen Tipp. „Wenn du einen Pikachu fangen willst, musst du zum Netto in Gesundbrunnen gehen“, verrät ein Mitspieler, bevor die Gruppe erneut aufbricht.

Fledermaus auf dem Kamenzer Markt

In Kamenz wurden zum Beispiel auch auf dem Markt vor dem Rathaus die kleinen Monster gesichtet. Ein fledermausartiges blaues Zubat flattert dort unbemerkt zwischen Info-Aufstellern. Auch in Parks und Einkaufszentren treiben sie sich herum und machen die Gegend unsicher. Nebenbei können die Spieler sogar noch etwas lernen über die Region, in der sie gerade auf Jagd sind. So ploppt in Kamenz ein Bild von St. Annen auf. Es gibt Informationen zur Mönchsmauer oder ein Stück weiter zum Lessingmuseum. Das nächste kleine Monster, ein sogenanntes Traumato mit niedlichem Rüssel, zeigt sich direkt vor der 1. Mittelschule und guckt treuherzig. Schwupp ist es gefangen in einem sogenannten Pokéball und zappelt noch ein bisschen. Das Spiel ist freilich auch so beliebt wie umstritten. So freuen sich Eltern durchaus, dass es Stubenhocker vor die Haustür lockt. Die Polizei warnt allerdings bereits vor dem Unfallrisiko, wenn Pokémonjäger im Jagdfieber jede Vorsicht vergessen und selbstvergessen auf die Straße taumeln. Also: Obacht bei der Jagd. Außerdem mahnten bereits Verbraucherschützer die Go-Entwickler ab. Sie sehen Mängel beim Datenschutz.

Die Millionen Fans wird das nicht abschrecken. An der Kamenzer Stadtinfo hat sich inzwischen ein Hornliu, eine Art Käfer, eingestellt und guckt frech. Die Jagd geht weiter, ganz ohne Waffen. Gefährlich könnte nur der Straßenverkehr werden.