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Tarifverträge sind das beste Mittel gegen Niedriglöhne

Nach der Bundestagswahl hat die SZ verschiedene Menschen um Beiträge dazu gebeten, was sich ändern muss. Heute: Daniela Kocksch, stellvertretende Bezirksgeschäftsführerin von ver.di. Dresden/Ostsachsen.

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© privat

Von Daniela Kocksch

Lohngerechtigkeit für Oberlausitzer! Warum bekommen die Menschen im Landkreis Görlitz so wenig Lohn? Abgehängt sein, ist manchmal nicht nur ein Gefühl, sondern kann ganz knallhart mit Zahlen untersetzt werden. Jährlich verdienen die Arbeitnehmer im Landkreis Görlitz rund 2 000 Euro weniger, als anderswo in Sachsen. Der Abstand zum bundesweiten Durchschnitt liegt bei rund 7 500 Euro. Der Bruttoverdienst im Landkreis Görlitz beträgt 24 815 Euro jährlich. Das sind weniger als 2 000 Euro im Monat. Um das so noch mal deutlich zu machen – Steuern und Sozialversicherung gehen davon noch ab.

Damit liegt der Landkreis Görlitz auf dem drittletzten Platz in Sachsen, nur noch das Erzgebirge und das Vogtland kommen dahinter. Jetzt kommen natürlich gleich die Beschwichtiger auf den Plan: Dafür ist das Leben billiger, das Wohnen kostet nicht so viel wie in den Großstädten und die Unternehmen könnten hier in der Grenzregion nicht so viel zahlen. Als Gewerkschafterin höre ich diese Argumente fast täglich. Dafür pendeln die Menschen enorme Strecken, um zum Arbeitsplatz oder zum Einkaufen zu kommen, öffentlichen Nahverkehr gibt es immer weniger, an Tankstellen und beim Autohändler gibt es auch keinen „Görlitzer“ Rabatt.

Hauptursache ist die lange Zeit verfolgte Niedriglohnpolitik in der Landesregierung und im Landkreis. Wenn der einzige Standortvorteil die willigen und billigen Arbeitskräfte und großzügige Gewerbegebiete sind, dann läuft etwas schief. Dann kommen nur die Unternehmen, deren Maxime lautet: billig produzieren, teuer verkaufen. Diese Unternehmen scheuen auch wie der Teufel das Weihwasser den Abschluss eines Tarifvertrages. Die Tarifbindung, also Unternehmen, die einen Tarifvertrag anwenden, ist in Sachsen bundesweit am niedrigsten.

Im Landkreis muss sich deshalb vor allem ändern, dass Tarifverträge als was „Besonderes“ angesehen werden und nur für Großunternehmen gelten sollen. Tarifverträge sind das beste Instrument, um einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer herzustellen. Unternehmer, die immer am besten wissen, was für ihre Belegschaft gut ist und am liebsten alles entscheiden wollen, haben sich überlebt. Modern sein heißt heute, die Arbeitnehmer ernst zu nehmen, Gespräche und Verhandlungen zu führen, Fachkräfte zu fördern, Qualifizierung anzubieten, Forschung und Digitalisierung voranzutreiben. Das kann kein Chef alleine machen, wenn er klug ist, bezieht er Betriebs- oder Personalrat mit ein. Und wenn er nicht ständig mit Gehaltsforderungen konfrontiert sein will und einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Qualifikationen herstellen muss, dann wendet er am besten einen Tarifvertrag an.

Ändern muss sich vor allem die Art und Weise, wie mit dem Problem umgegangen wird. Gute Arbeit muss auch gut entlohnt werden. Der Landkreis kann da mit gutem Beispiel vorangehen und öffentliche Aufträge nicht mehr an den billigsten Anbieter geben, sondern Tarifverträge und Mitbestimmung berücksichtigen. Wo der Landkreis Gesellschafter ist, müssen gute Tarifbedingungen gelten. Die Sächsische Staatsregierung muss endlich das Vergabegesetz ändern. Bei Investitionen im Kreis sollte auch berücksichtigt werden, ob neue, geförderte Arbeitsplätze mit Tarifvertrag entlohnt werden. Die neue Bundesregierung sollte mehr dafür tun, dass die Tarifbindung wieder steigt, zum Beispiel dadurch, dass die Nachwirkung eines Tarifvertrages beim Austritt aus dem Arbeitgeberverband erhalten bleibt. Jetzt ist es so, dass durch den einseitigen Austritt aus dem Arbeitgeberverband jeder Unternehmer sich einfach der Tarifbindung entziehen kann. In Deutschland ist es leichter, aus einem Tarifvertrag auszusteigen, als einen Mobilfunkvertrag zu kündigen. Und zu guter Letzt sollte jeder selbst prüfen, ob es nicht besser ist, in der Gewerkschaft für bessere Löhne zu streiten, als ständig beim Arbeitgeber zu fragen, ob mal wieder eine Lohnerhöhung möglich wäre.