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Tanz über dem Abgrund

Auf der Festung Königstein traf sich die Elite des Extremsports. Höhenangst durfte dabei keiner haben.

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© Marko Förster

Von Katarina Gust

Königstein. Einen Blick für die schöne Aussicht auf die Elbe und den Lilienstein hat er nicht. Heinz Zaks Augen sind starr auf das nicht mal fünf Zentimeter dicke Seil gerichtet, auf dem er gerade steht. Unter ihm ist nichts – nur ein etwa 200 Meter tiefer Abgrund am Rande der Festung Königstein. Hunderte Schaulustige fiebern mit, als Zak den ersten Fuß auf die „Highline“ stellt. In der Kletterszene ist damit ein Seilband gemeint, das zwischen zwei Felsen oder Bäumen gespannt ist – in extremer Höhe.

Angst durfte man beim Abseilen aus 40 Meter Höhe von der Festungsmauer nicht haben. Hier versucht es Anne (28) aus Hoyerswerda mit Hilfe von Industriekletterer Heiner Wünsch.
Angst durfte man beim Abseilen aus 40 Meter Höhe von der Festungsmauer nicht haben. Hier versucht es Anne (28) aus Hoyerswerda mit Hilfe von Industriekletterer Heiner Wünsch. © Marko Förster
Wie auf einem Trampolin springt Lukas Huber auf der Slackline.
Wie auf einem Trampolin springt Lukas Huber auf der Slackline. © Marko Förster

Die Festungsmauern sind außergewöhnlich hoch. Deshalb hat sie der 57-jährige Extremkletterer ausgesucht. Langsam tastet sich Heinz Zak vorwärts. Jeder Schritt ist ein Balanceakt. Das dünne Seil schwankt unter ihm. Auf einem Bein stehend versucht er das Gleichgewicht zu halten. Zak ist zwar gesichert, dennoch stockt den Zuschauern der Atem. Heinz Zak kontrolliert das Seil und sich. Er atmet tief, schnauft bei jedem Schritt. Es klingt wie ein Rhythmus, der ihm über das Seil hilft. Nicht einmal eine Minute dauert der Tanz über dem Abgrund. Noch ein Schritt, dann steht der Österreicher wieder auf der Festungsmauer. Die Zuschauer feiern ihn – und sein scheinbar lebensmüdes Hobby.

Der Auftritt von Heinz Zak war der Höhepunkt beim Outdoorfestival „Festung Aktiv“ am Wochenende. Vier Mal balancierte er hoch über der Elbe. Nicht nur für die Zuschauer war das etwas Besonderes. Auch Heinz Zak selbst ist begeistert. „Die Location hier ist unglaublich“, sagt der 57-Jährige, der als Pionier in dieser Extremsportart gilt. Es gäbe selten so gute Orte, an denen man so hoch über dem Boden ein Seil einfach befestigen könnte. Die Festungsmauern seien ideal dafür.

Nie nach unten schauen

Um den scheinbar lebensmüden Ritt zu meistern, braucht Zak nur zwei Dinge: Körperbeherrschung und absolute Konzentration. „Man darf nie nach unten schauen“, sagt er. Seine Augen seien immer auf das Seilende fixiert, auf die Ziellinie sozusagen. „Wenn der Boden unter den Füßen fehlt, ist plötzlich alles anders“, erklärt er. Es seien Urängste, die er dann bewältigen müsse. Zak liebt das Gefühl von Freiheit. Hier beim Festival sei er an einen Zeitplan gebunden. „Man muss den Schalter umlegen können auf Abruf“, sagt er. Zak kann das.

Schon mehrfach hat der Österreicher außerhalb der Festungsmauern Höhenluft geschnuppert. Immer wieder kommt er gern hierher. „Den Besuchern wird viel geboten“, sagt er anerkennend. Recht hat er. Beim Flying Fox können Mutige an einem Stahlseil 50 Meter über dem Festungseingang entlang fliegen. Oder sich wie professionelle Bergsteiger an mehreren Stellen an der Festungsmauer abseilen lassen. Was fürs Auge ist auch die Show der beiden Dresdner, Sebastian Hopfe und Thomas Helbig. Sie springen mit Mountainbikes auf einem Hindernisparcours über Baumstämme, Holzpaletten und Felsbrocken. Alles, ohne einmal den Fuß abzusetzen.

Extremkletterer Heinz Zak kennt viele dieser Profis. Einen hat er persönlich auf die Festung geholt: Lukas Huber. Der 21-Jährige balanciert wie Heinz Zak auch über ein Seil. Die sogenannte Slackline hängt bei ihm aber nur einen knappen Meter über dem Boden. Balancieren allein ist dem jungen Mann aus Südtirol jedoch nicht genug. Lukas Huber nutzt die dünne Line wie ein Trampolin. Er wippt auf und ab, macht Salti, mal vorwärts mal rückwärts. Er dreht sich, landet bäuchlings auf dem Seil und steht kurz darauf wieder sicher auf der Slackline. Was spielend leicht aussieht, ist hartes Training. Nicht jeden Salto steht Lukas Huber. Es ist die Königsdisziplin in diesem Sport. „Der Absprung muss perfekt sein“, verrät er. Das Seil darf nicht verrutschen, muss senkrecht nach unten gedrückt werden. Das zu kontrollieren, verlangt höchste Konzentration.

Workshop für Kinder

Erst vor fünf Jahren stand Lukas Huber zum ersten Mal auf dem elastischen Band. „Nach einer Woche konnte ich sicher darauf laufen“, erzählt er. Das Balancieren allein war ihm aber zu wenig. Im Internet schaute er sich Tricks ab, erfand eigene Figuren. Zwei Jahre später wurde er damit im amerikanischen Boston Weltmeister. Heute tingelt er mit Slackline-Kollegen im Sommer von Festival zu Festival. Nebenbei studiert er an der Uni in Mailand Wirtschaft. Wenn Lukas Huber auf der Slackline Tricks vorführt, steht sogar Altmeister Heinz Zak in der ersten Reihe und applaudiert. Nach der Show geben Lukas Huber und seine Freunde fleißig Autogramme. Besonders bei den Kindern kommen die Tricks gut an.

„Kinder haben einen tollen Gleichgewichtssinn. Sie lernen extrem schnell“, sagt Heinz Zak. Bei seinem Workshop stehen die Kids deshalb Schlange. An der Hand von Profi Zak versucht es Erik. Groß stützen muss ihn der 57-Jährige nicht. Erik macht sich gut. „Nicht zu langsam laufen“, rät er dem Schüler. Dann ist Frieda dran. Das junge Mädchen steigt zielsicher auf das Band. Es schaukelt unter ihren Beinen. „Du musst lockerer werden“, flüstert er ihr zu. Ihr Oberkörper sei zu angespannt. Eine kleine Korrektur und gleich läuft es besser. Frieda will am Ende gar nicht mehr runter. Kein Wunder, bei so einem Lehrer.