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„Tante Anni, du wirst mal hundert Jahre!“

Als Anneliese Voigt geboren wird, regiert in Deutschland der Kaiser. Jetzt feierte sie ihren Hundertsten– als Geschenk gab’s auch eine Karte für die Arena.

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© Sebastian Schultz

Von Eric Weser

Riesa. Ihr Neffe hatte schon so eine Ahnung. „Tante Anni, du wirst mal hundert Jahre“, habe der Verwandte früher zu ihr gesagt. Sie selbst hat das nicht ganz ernst genommen. Doch der Neffe hat recht behalten. Diese Woche ist Anneliese Voigt tatsächlich 100 Jahre alt geworden.

Als sie im Oktober 1916 geboren wird, ist Deutschland noch ein Kaiserreich – und das Land befindet sich mitten im Ersten Weltkrieg. Anneliese Voigts Erinnerungen setzen ein paar Jahre später ein. Die Mutter habe zur Inflationszeit 1923 eine Nähmaschine gekauft, erzählt die Seniorin. „Da ist sie gerannt!“ Für 145 000 Mark habe sie das Gerät letztlich ergattern können. Als junge Frau arbeitet Anneliese Voigt in der Landwirtschaft. Es ist eine entbehrungsreiche Zeit. Beim Bauer im Strehlaer Nachbarort Sahlassan habe es „alle Abende nur Quark“ gegeben, erinnert sie sich. „Aber nicht den guten, nur den fettarmen.“ Sie wechselt in ein anderes Gut – und muss dort Kühe melken. „Dann kam die Soldatenzeit.“ Alle jungen Burschen hätten damals in den Krieg gemusst. „Und was war das Ende vom Lied? Die kamen alle nicht wieder.“

Anneliese Voigt muss kräftig zupacken. Der Bauer fragt sie, ob sich zutraut, den Eisenpflug zu lenken. „Da hab ich ganz schön geackert“, denkt sie an die ersten Versuche mit dem Fünfer-Pferdegespann zurück. Doch Anneliese Voigt weiß, wie man mit den Tieren umgehen muss. Vom Großvater hatte sie eine eigene Stute geerbt. „Da bin ich immer ausgeritten am Wochenende zwischen Sahlassan und Laas.“ – Als es auf dem Bauernhof keine Arbeit mehr gibt, sucht sich Anneliese Voigt einen neuen Beruf, wird Köchin. An die Arbeit in der Riesaer Elbterrasse hat sie aber keine guten Erinnerungen. Vom stillen Örtchen gleich neben der Küche habe es mörderlich gestunken. „Und die Russen, da musste man sich vorsehen!“ Sie macht ihren Facharbeiter im Riesaer Stahlwerk, später zieht es sie nach Strehla. Dort arbeitet sie als Köchin im Altersheim. Anneliese Voigt bleibt dort bis zum Ende ihres Arbeitslebens.

Tiere sind zeitlebens das große Hobby der Frau, die lange Zeit am Strehlaer Wasserturm zu Hause ist. Über Jahrzehnte ist Anneliese Voigt in Strehlas Hundesportverein aktiv. „Dort hab’ mich richtig wohlgefühlt.“ Fotos an einer Wand ihres Zimmers zeigen sie mit ihren Schäferhunden. Ein Tier – „So eine treue Seele!“ – sei ihr vergiftet worden, erinnert sie sich.

Im Riesaer Seniorenhaus Albert Schweitzer, wo Anneliese Voigt seit anderthalb Jahren lebt, hat sie kein eigenes Tier mehr. Ihre Katze, die sie bis zuletzt noch in ihrer Strehlaer Wohnung hatte, musste sie zurücklassen. Fotos ihrer Hunde, eine Pferdeskulptur und Bettwäsche mit Pferdemotiv erinnern stattdessen an ihre Lieblinge.

Wegen ihrer Vorliebe gab es vom Seniorenhaus zum Geburtstag vorfristig einen Besuch in der großen Pferdeshow Appassionata geschenkt. Anneliese Voigt strahlt jetzt noch, wenn sie an den Abend in der Sachsenarena denkt, die sie von ihrem Zimmer im Seniorenhaus aus sehen kann. „Wunderschön war das!“

Begeistert ist die Hundertjährige auch, dass sich zu ihrem Ehrentag zwei Dutzend Gäste eingefunden haben. Freunde, Bekannte und „alle, die gut zu mir waren“, hatte die Hundertjährige zuvor eingeladen. Jeden persönlich, per Telefon. Und alle sind gekommen. Ist doch klar, denn 100 Jahre wird Anni nur einmal.