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Tägliche Stoffstrecke bis nach Berlin

Um die frühere Lautex ging es am Dienstag im ersten Stammtisch zur Betriebsgeschichte. Gut 20 ehemalige Mitarbeiter kamen.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Großenhain. Klaus Arnold hat gleich gesehen, dass das Bild nicht zur Lautex gehört. Das Ölgemälde von Walter Harras in der aktuellen Sonderausstellung „Lautextima“ zeigt die Krempelei – „und zwar in der Tuchfabrik auf der Auenstraße“, weiß der 74-jährige Arnold. Er war damals Lehrling in den Vereinigten Tuchfabrik Ostsachsen und weiß, dass Künstler Harras Brigadier Heinz Schur an vier Krempelsätzen malte. „Das muss vor 1968 gewesen sein, weil das Werk dann Schuhfabrik wurde“, erzählt Klaus Arnold. Aus Wolle wurden auf diesen Stachelwalzen Fäden gewebt. Arnold musste als Lehrling die Lederantriebe der Transmission abbauen. „Das Gemälde hing damals im Klubhaus der Tuchwerker, der sogenannten Römer-Villa an der Meißner Straße, im Korridor“, so Klaus Arnold.

Museumsmitarbeiterin Ilona Leuschke spielt in Dederonschürze Betriebskantine.
Museumsmitarbeiterin Ilona Leuschke spielt in Dederonschürze Betriebskantine. © Klaus-Dieter Brühl
Dieses Ölgemälde von Walter Harras gehört nicht zur Lautex, sondern zum VEB Tuchfabriken Ostsachsen, Werk Auenstraße.
Dieses Ölgemälde von Walter Harras gehört nicht zur Lautex, sondern zum VEB Tuchfabriken Ostsachsen, Werk Auenstraße. © Repro/Anne Hübschmann

In der Lautex wurde allerdings Stoff bedruckt. Das Werk im Kombinat Baumwolle hatte über 1000 Mitarbeiter. Genau diese Hinweise und Geschichten wollten die Museumsleute hören, als sie gestern zum Lautex-Betriebstreffen einluden. Eine Art Werkskantine wurde imitiert. Auf den Tischen stand ein Wimpel der Betriebssportgemeinschaft Lautex und ein Aschenbecher vom Stammtisch. Amtsleiter Matthias Schmieder von der Stadtverwaltung las zum Spaß eine Arbeitsschutzbelehrung vor. So kam schnell gute Laune auf.

Warteliste für Plastikfässer

Die gut 20 ehemaligen Mitarbeiter – von der früheren Hauptbuchhalterin Einbock bis zu Bernd Thronicke, der das Heizhaus leitete – schauten sich nicht nur die Fotos an, die im Museum aufbewahrt sind. An Kommentaren, Namen und Bonmots wurde nicht gespart. So gab es jede Menge Hinweise zum technologischen Ablauf in den einzelnen Arbeitsbereichen. Gerd Anker soll dazu auch einen Film gemacht haben, hieß es. Allerdings wurde der noch nicht gefunden. So ist es an den Lautex-Leuten, Walzendruck und Schablonendruck zu erklären. Von der Farbküche werden viele Bilder gezeigt. Auch mit den Plastefässern, die heute noch in vielen Gärten stehen sollen. Für fünf Ostmark wurden sie seinerzeit verkauft. Es gab dafür eine Warteliste.

Die Farbpigmente kamen nicht nur von BASF aus der Bundesrepublik, sondern auch aus Italien und England. „Wie gerade gefärbt wurde, haben wir damals in der Röder gesehen“, witzelt Matthias Schmieder. Betriebskindergarten und -krippe sorgten dafür, dass die Mitarbeiter in vier Schichten arbeiten konnten. Sogar eine Sauna war im Verwaltungsgebäude, erzählen die „Ehemaligen“, die selbst der Allgemeinheit offenstand. Sie war fünfmal fünf Meter groß, Lehrer vom Institut für Lehrerbildung nutzten das Angebot, auch die Krippenkinder wurden hier physisch gestärkt.

Volker Muschter machte damals nicht nur Betriebsführungen, sondern war auch für die ausländischen Werktätigen zuständig. „1981 kamen die Mosambikaner und um 1986 die Vietnamesen“, erinnert er sich. Während die „Mosis“ es teilweise bis zum Meistertitel schafften, waren die Vietnamesen vor allem fleißig am Nähen von Jeans – im Wohnheim. 150 Vietnamesen hätten in der Textilveredlung gearbeitet, dazu 50 Männer aus Mosambik und 24 Frauen. Als die kamen, mussten ihre afrikanischen Landsleute in ein Wohnheim an der Autobahn nach Thiendorf umziehen. Das steht heute noch. In die Heimat nahmen diese Ausländer gleich große Seekisten mit – voller zerlegter S 51-Mopeds.

Die tägliche Stoffstrecke, die allein an Bettwäsche im VEB Stoffdruckerei bedruckt wurde, ging von Großenhain nach Berlin. Seit 1957 stellte der Betrieb auf der Leipziger Messe im Ringmessehaus aus. Zur Auswahl bei Kaufverhandlungen standen 95 Muster – von Kleider-, Schürzen- bis zu Bettwäschestoff – zur Verfügung. Exportverbindungen bestanden nach Frankreich, Belgien, Griechenland, Zypern und über englische Firmen nach Afrika. Eigene Textilzeichner setzten die Designervorlagen so um, dass sie druckbar waren.

Gerüchte über Elektronenstrahler

Betriebsärztin Rosemarie Kunde – genannt Kunigunde – und Schwester Evelyn kümmerten sich um die Gesundheitsvorsorge der Mitarbeiter. Parteisekretär Achim Wilke hielt sie ideologisch auf Linie. Mysteriös war allerdings 1981 die Versuchsanlage zur strahlenchemischen Homogenisierung textiler Flächengebilde, erinnern sich die Stoffdrucker. In der Stadt ging das Gerücht um, ein Atomreaktor sei aufgebaut worden. Tatsächlich prüfte man, ob man synthetischen Stoffen Eigenschaften von Baumwolle „aufstrahlen“ konnte. Es war ein Vorzeigeprojekt, das nie praktische Bedeutung erlangte. Doch selbst nicht alle Mitarbeiter hatten damals dazu Zugang.