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Süßer die Glocken nie klingen ...

Manchen stört des Nachts der Stundenschlag der St.-Marien- Kirche in Kamenz. Die Seiger-Schelle ertönt seit Jahrhunderten nach exakter Läuteordnung. Also abgesegnet.

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© Steinborn

Von Frank Oehl

Kamenz. Manchmal, in schlaflosen Nächten, fällt der Stundenschlag besonders ins Gewicht. In Kamenz sorgt dafür – neben der Rathausuhr – auch die St.-Marien-Kirche. Ihr Glockenturm ragt weit ins Land, entsprechen weit ist sie auch zu hören. Gerade, wenn man nicht einschlafen kann, rückt der Schellenklang einem besonders nahe. Kein Grund, verzweifelt zu sein ...

Immerhin ist der Stundenschlag selbst eine Tradition von Gewicht. Dies bestätigt auf SZ-Nachfrage Pfarrer Jörg Naumann von der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde in Kamenz. „Neulich gab es den offiziellen Antrag eines unserer Kirchennachbarn, den Stundenschlag in der Nacht ganz abzuschaffen. Wir haben dieses ernst zu nehmende Ansinnen abgewogen und dann aber aus guten Gründen abgelehnt.“ Zum Verständnis, dass sich der Einzelne in einer bestimmten Situation auch mal vom Stundenschlag gestört fühlen könne, müsse man schon allein die historische Dimension in die Waagschale werfen. Die „neue“ Seiger-Schelle im Glockenturm stammt von 1568 (!) und ist seitdem praktisch ununterbrochen in Betrieb. „Für uns hat der Stundenschlag durchaus auch eine lithurgische Dimension – als eine Erinnerung, dass die Lebenszeit verstreicht.“ Damit habe sie auch eine etwas andere Bedeutung als die Rathausglocke.

Es gibt eine Läuteordnung

Auch beim Glockenklang muss alles seine Ordnung haben. Hier heißt es „Läuteordnung“. Die jetzige der Kamenzer Kirchgemeinde stammt vom Dezember 2006. Sie löste die von 1981 ab, die wiederum auf eine kurz nach dem 2. Weltkrieg zurückgeht. Und so weiter und so fort. Die Läuteordnung ist ein öffentlich-rechtliches Ortsgesetz, das vom Regionalkirchenamt in Dresden als Aufsichtsbehörde abgesegnet werden muss. Zum Stundenschlag wird aktuell vermerkt, dass es neben dem vollen Stundenschlag nur einen Halbstundenschlag gibt. Naumann: „Wer zum Beispiel in Pulsnitz lebt, bekommt deutlich mehr zu hören.“ Dort werde das Viertel mit einem Schlag, die Halbstunde mit zwei Schlägen, das Dreiviertel mit drei Schlägen und die volle Stunde mit vier Schlägen plus der jeweiligen Uhrzeit gegeben. „Die Schelle der St.-Nicolai-Kirche schlägt um Mitternacht also 16 Mal.“ Da ist man in Kamenz praktisch längst wieder eingeschlafen, wenn man so will. Und wer doch länger wach liegt, wird mit einer Kuriosität der St.-Marien-Schelle konfrontiert: Sowohl halb Eins, als auch um Eins sowie halb Zwei ertönt jeweils ein Schlag. In dieser Zeit verzichtet die St. Marien-Glocke also auf eine exakte Zeitangabe. Gewissermaßen für freischwebende Nachtschwärmer.

Zur Erläuterung hält die gültige Läuteordnung der Kamenzer Kirchgemeinde interessante Einzelheiten fest. Zum Beispiel zu den Glocken aller Kirchen in der Stadt, und zu welchem Anlass sie ertönen. Das „Tagesgeläut“ der St.-Marien-Kirche zum Beispiel verbindet den einzelnen Tag mit einem ganzen Menschenleben. Um 7 Uhr erklingt die Taufglocke, um 12 Uhr die Hochzeitsglocke und um 18 Uhr die Sterbeglocke. Auch das Geläut zu wichtigen Anlässen ist sehr unterschiedlich, und wer sich da hineinhört, erfährt einiges von dem, was gerade passiert oder passiert ist. Pfarrer Naumann: „Glocken erzählen viel mehr, als man gemeinhin denkt ...“

Fünf verschiedene Glocken

Ein guter Glockenklang ist eine Wissenschaft für sich. Das Geläut der St. Marien zum Beispiel besteht aus fünf verschiedenen Glocken, die älteste und kleinste stammt von 1576. Sie ist auf den Kammerton A gestimmt. 1729 kam als nächstes die größte der Glocken hinzu, die immerhin 1900 kg wiegt und auf Es gestimmt ist. Das passt. Irgendwann ist dann bei der Klangerweiterung etwas schief gelaufen, weil zwei Glocke auf As und B gestimmt wurden. As, A und B zusammen ist absolut nix für die Ohren. Deshalb werden höchstens vier Glocken angeschlagen. Das klingt nach …

Siehe auch „Die Geschichte der Glocken der St.-Marien-Kirche zu Kamenz“, F. Martin Kühne, Beitrag in der Festschrift zum 775.Jahr-Jubiläum der Stadt Kamenz