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Südsee-Gefühl auf der Elbe

Stehpaddeln ist mehr als übers Wasser treiben. Der Trendsport ist sogar ein Fall für den Internationalen Sportgerichtshof.

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© Robert Michael

Von Michaela Widder

Dresden. Was musste er sich schon alles für Sprüche anhören? Von Ruderern, manchen Passanten auf den Dampfschiffen und Anglern, die Jan Diestel argwöhnisch mustern. Ob er Jesus sei, der übers Wasser geht, habe ihm mal jemand zugerufen. Die Sprüche sind nicht immer so originell, wenn er auf seinem Brett steht und mit einem Stechpaddel links und rechts durch das Wasser pflügt. Als er vor neun Jahren mit dem Stand-up-Paddling – eingedeutscht Stehpaddeln – begann, war er ein Außerirdischer auf der Elbe.

Kein richtiger Surfer, aber auch kein Kanute. Zwischen Pirna und dem Blauen Wunder in Dresden wurde Diestel auf dem Wasser oft belächelt, doch längst boomt der Sport. Schon 2016 sei die Nachfrage nach Brettern und Kursen enorm gewesen, dieses Jahr habe es richtig geknallt, meint Diestel, der nach der Wende mit seiner Schwester Antje drei Jahre als Windsurf-Profi durch die Welt zog und danach einen Trendsportladen in Dresden eröffnete: „So wie Snowboarder den Skimarkt aufgelockert haben, passiert das jetzt mit den Stehpaddlern auf dem Wasser.“

Alle Welt steht auf Stand-up-Paddling, kurz SUP, könnte man meinen, wenn man in diesem Sommer seinen Urlaub an einem See verbracht hat. Es gibt zwei wesentliche Gründe, dass der Trend anhält. Erstens, jeder mit Seepferdchen-Abzeichen an der Badehose, ist schon qualifiziert, sich auf einem Brett samt Paddel als Kapitän zu fühlen. Zweitens, das „Suppen“, wie die Fortbewegung auch genannt wird, lässt sich auf Meeren, Seen oder Flüssen ausüben. „Man kann sich langsam ausprobieren, hat aber sofort Erfolgserlebnisse“, erklärt Distel und betont: „70 Prozent der Neulinge fallen gar nicht ins Wasser.“

Die Elbe mit ihrer Strömung sei alles andere als geeignet für den Einstieg, mit seinen Schülern fängt er auf einem See an. „Anfängern tun nach der ersten Stunde Beine und Füße weh, weil die durch das Ausbalancieren die meiste Arbeit abfangen müssen“, erklärt Diestel. Wer einmal das Stehpaddeln gelernt hat, für den ist der ursprünglich aus der Südsee stammende Wassersport ein Ganzkörpertraining. Der Bewegungsablauf des Oberkörpers ähnelt dem Skating beim Skilanglauf. Jeden Winter hat der 51-Jährige dasselbe Aha-Erlebnis. „Wenn ich das erste Mal wieder auf die Skatingski steige, habe ich das Gefühl, ich fliege durchs Gebirge.“ Er könnte sich sogar vorstellen, das SUP auch im Rehabereich, beispielsweise nach einem Kreuzbandriss im Knie eingesetzt wird. „Es ist eine gleichmäßige und sanfte Belastung der Tiefenmuskulatur.“

Hin und wieder paddelt Diestel sogar zur Arbeit. Von seinem Wohnort Posta bei Pirna bis zum Blauen Wunder sind es 20 Kilometer. Eine gute Stunde ist er unterwegs. Stromaufwärts nach Hause benötigt er allerdings dann die dreifache Zeit – eine kräfteraubende Trainingseinheit.

Vom Spaßfaktor hat Diestel schon einige Skeptiker überzeugt. Als letzter DDR-Windsurf-Meister ist er dabei, SUP auch als Leistungssport zu etablieren. „Eine Wettkampfkultur ist im Entstehen“, erklärt er. In Sachsen werden bisher noch keine Rennen ausgetragen, ein Demonstrationswettbewerb am vorigen Samstag auf der Talsperre Malter sei aber auf großes Interesse gestoßen. Deutschlandweit, schätzt Diestel, gibt es rund 200 Wettkampf-Paddler.

Bei der dritten Auflage der nationalen Titelkämpfe in Frankfurt auf dem Main wurde er Anfang August auf der Langdistanz über acht Kilometer Deutscher Meister der Ü50-Jährigen. Eine 16-Jährige aus Dresden hat sogar die gesamte nationale Elite bei den Frauen düpiert. Hannah Krah, eine erfolgreiche Nachwuchskanutin, probiert sich erst seit einem Jahr nebenbei auf dem vier Meter langen Kunststoffbrett aus.

„Hannah ist der Geheimtipp in Deutschland. Sie ist eine Kämpferin und hat durch ihre Ausbildung viel Balancegefühl für das Board“, erklärt Diestel. Als Deutsche Meisterin wurde die Sportschülerin kurzfristig für die WM nominiert und startet an diesem Sonntag in Kopenhagen im Sprint. Krah gehört die Zukunft in der noch jungen Sportart, mit der auch einige Profis ihr Geld verdienen.

Und sie träumen sogar von Olympia. Doch erst einmal muss der Internationale Sportgerichtshof klären, ob Stehpaddeln dem Surfen oder dem Kanufahren näher ist. Beide Weltverbände bestehen auf ihre Sicht, und das aus einem guten Grund. Bei den Spielen 2020 in Tokio werden erstmals Medaillen im Surfen vergeben. Sollte zukünftig das Stehpaddeln ebenfalls als olympische Sportart ernannt werden, dürfte man weiteren Zulauf erfahren – und der zuständige Dachverband mit erheblichen Einnahmen rechnen.

„Wir fühlen uns eher den Wellenreitern als den Kanuten zugeordnet“, sagt Diestel. Im Kleinen fängt der Zwist auf der Elbe an. „Man merkt, wie man von den Kanuten und erst recht von Ruderern als läppischer Paddler abgestempelt wird.“ Nur ein Verein in und um Dresden nehme überhaupt Stehpaddler auf. Distel und seine Mitstreiter überlegen daher, ob sie einen eigenen Klub gründen. „Es ist auch ein Sport mit einem hohen mentalen Wert.“ Stehend übers Wasser zu gleiten, eröffne auch einen neuen Blick. Das schönste Kompliment bekam der SUP-Papst von einem Kursteilnehmer, der meinte: „Die zwei Stunden waren wie zwei Tage Urlaub.“