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Suche nach den Mördern von Kiew

100 Tote gab es bei dem Umsturz in Kiew. Doch bis heute ist nicht aufgeklärt, wer geschossen hat. Anhänger Janukowitsch? Oder - ein ungeheuerlicher Verdacht - die Opposition selbst?

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© REUTERS/Radio Free Europe/Radio Liberty

Von Andreas Stein und Ulf Mauder

Kiew. Es ist ein ungeheuerlicher Verdacht: Groß präsentieren Russlands Staatsmedien den angeblichen Beweis für einen mit Blut inszenierten Umsturz in der Ukraine. Politiker in Moskau tönen, die Maidan-Demonstranten selbst hätten Scharfschützen angeheuert und auf eigene Leute gefeuert, um den Funken der Revolution zu zünden. 100 Todesopfer gab es bei den blutigen Zusammenstößen in Kiew. Aufgeklärt sind die Taten vom Februar bis heute nicht.

„Das ist ein kolossaler Skandal ... Eine ukrainische Pseudorevolution. Eine schmutzige Machtergreifung“, donnert der einflussreiche Außenpolitiker Alexej Puschkow in Moskau. In Russland, dem Reich der Verschwörungstheorien, ist die Aufregung groß. Von der EU und den USA als Unterstützer der Maidan-Revolution in Kiew war zunächst nichts zu hören.

Dabei hat der Außenminister aus dem baltischen EU-Land Estland den Russen Futter für etwas geliefert, was eine der größten politischen Intrigen der Geschichte wäre. In einem heimlichen Mitschnitt eines Telefonats mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton ist der estnische Minister Urmas Paet tief beunruhigt über die Lage in Kiew.

Paet berichtet Ashton von den in Kiew kursierenden Gerüchten, wonach das Maidan-Lager selbst Scharfschützen engagiert haben könnte. Viele der neuen Regierungsmitglieder hätten eine dunkle Vergangenheit, fügt er hinzu. Paet äußert sich auch besorgt, dass die neuen Machthaber die Todesfälle nicht aufklären würden. Es gebe mehr und mehr Hinweise, dass hinter den Mördern „nicht (der entmachtete Präsident Viktor) Janukowitsch, sondern jemand von der neuen Koalition“ stehe, sagt Paet.

Den Kreml freuen die Gerüchte

Solche Aussagen sind Wasser auf die Mühlen des Kreml, der seit Tagen davor warnt, in Kiew seien gefährliche Extremisten, Mörder und Faschisten an der Macht. Deshalb droht Kremlchef Wladimir Putin auch mit einem Militäreinsatz zum Schutz von Russen in der Ukraine.

Für die russische Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“ ist der Fall klar: „Der Maidan engagierte die Sniper (Scharfschützen)“, heißt es auf der Titelseite. Das Gespräch zwischen Paet und Ashton sei der „Beweis“. Wie es zu dem Mitschnitt und der dann noch an die Öffentlichkeit kam, untersuchen die Behörden in Estland noch. Paet hat aber die Echtheit bestätigt.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow versuchte bei den Krisengesprächen in der EU mit Ashton und seinem US-Kollegen John Kerry über das abgelauschte Gespräch zu sprechen. Er sei aber abgeblitzt, teilen Diplomaten mit. Zu heimlichen Mitschnitten gebe es keine Äußerungen, hätten die westlichen Politiker geantwortet.

Trotzdem fordert Moskau Aufklärung. „Scharfschützen - bezahlt von der Opposition - schossen den Menschen auf dem Maidan in den Rücken? Ja, die Russen in der Ukraine haben allen Grund, vor dieser Demokratie Angst zu haben“, schimpft der Abgeordnete Puschkow.

Beweise gibt es bisher keine

Beweise für die nun besonders von den Russen gestreute Version gibt es weiter nicht. Verschwörungstheorien haben aber im Reich von Präsident und Ex-Geheimdienstchef Wladimir Putin, der selbst einst KGB-Offizier war, eine lange Geschichte - Moskaus Geheimdienste gelten seit Sowjetzeiten selbst als Meister im Spinnen von Intrigen.

Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow beteuert, dass die Ermittlungen zu den Maidan-Toten intensiv geführt und Ergebnisse demnächst präsentiert würden. Dabei heizt auch er schon einmal die Gerüchteküche weiter an: „Der Schlüsselfaktor bei dem Blutbad in Kiew war eine dritte Kraft - und diese Kraft war keine ukrainische.“

Auch Kommandeure der damals eingesetzten Antiterroreinheiten und des Geheimdienstes hatten stets bestritten, Todesschüsse abgegeben zu haben. „Wir haben niemanden umgebracht“, sagte der Kommandeur der Sondereinheit Omega, Anatoli Streltschenko. Es sei nur darum gegangen, bewaffnete Demonstranten durch Schüsse in die Beine unschädlich zu machen. Der Funkverkehr scheint dafür zu sprechen.

Fragen wirft dagegen ein auch im russischen Fernsehen gezeigtes Video eines Mitglieds der Vaterlandspartei von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko auf. Sergej Paschinski heißt der Mann. Die am 18. Februar veröffentlichte Aufnahme zeigt ihn, wie er angeblich ein Scharfschützengewehr transportiert. Noch am selben Tag gibt es Tote, die Lage eskaliert. Der 47-jährige Paschinski ist inzwischen geschäftsführender Leiter des Präsidialamts in Kiew. (dpa)