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Suche Anschluss, biete Dankbarkeit

Von Zirkus bis Zahnarzt: Heidi und Eugen Sterczweski haben die Patenschaft für eine Flüchtlingsfamilie übernommen.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Er hat gerade mal seinen Kopf zur Wohnungstür reingesteckt, da stürmt die kleine Milisa schon auf ihn zu und umklammert sein Bein. „Mensch, siehst du heute schick aus“, sagt Eugen Sterczweski zu der Fünfjährigen und streichelt ihr über den Kopf. In Milisas Welt sind gerade Opa und Oma zur Tür hereingekommen. „Sie ist besonders offen“, sagt der 64-Jährige, „aber herzlich sind sie alle.“

So überbordend offen wie Heidi und Eugen Sterczweski hier in der Erdgeschosswohnung eines Plattenbaus in Prohlis begrüßt werden, könnte man meinen, sie gingen hier schon seit Jahren ein und aus. Dabei kennen die beiden Familie Houmi aus Afghanistan erst seit acht Wochen. Die Caritas brachte das Ehepaar Sterczweski aus Nickern und die Flüchtlingsfamilie zueinander. Dahinter steckt ein vom Bundesfamilienministerium initiiertes Projekt namens „Menschen stärken Menschen“, das Paten für Flüchtlinge vermittelt.

Noch vor nicht allzu langer Zeit standen die Sterczweskis dem Thema Flüchtlinge eher skeptisch gegenüber. Die beiden glaubten, dass der gewaltige Flüchtlingsstrom das Land überfordern könnte. Würden die sich hier jemals integrieren können? Auf der andere Seite stammt Heidi Sterczweski aus einer katholischen Familie. Nächstenliebe war für sie immer wichtig. Eugen ist Geschäftsführer einer Finanzberatung, sie hilft im Büro. Die 63-Jährige wünschte sich eine neue soziale Aufgabe, wollte helfen, wo es nötig ist. Im März las ihr Mann morgens beim Bäcker zufällig in der Stadtteilzeitung eine Anzeige der Caritas: „Paten für Flüchtlinge gesucht“. Kurzentschlossen meldeten sie sich bei der angegebenen Nummer. „Wir wollten gern eine Familie mit einem oder mehreren Mädchen“, sagt Eugen. „Unsere drei eigenen Enkel sind alle Jungs.“

Marion Teschke erfüllte den Wunsch gern. Sie leitet in der Caritas-Beratungsstelle für Asylsuchende das Patenprojekt und suchte mithilfe ihrer Sozialarbeiter eine Familie raus. Nur eine Woche später kam es zum ersten Treffen in deren Wohnung. Sie überraschte ihre neuen Paten mit einem üppigen Abendessen mit viel Obst, Gemüse und Hähnchen. So sieht Willkommenskultur auf Afghanisch aus. „Wir haben die Familie sofort in unser Herz geschlossen“,
erinnert sich Eugen. „Es war vom ersten Abend an eine sehr vertraute Atmosphäre.“ Zwar konnten sie sich anfangs fast nur
mit Händen und Füßen verständigen,
aber das reichte allen Beteiligten, um zu verstehen: Hier kann etwas Besonderes wachsen. „Wir waren vorher etwas unsicher, ob wir zum Beispiel der Frau die
Hand geben dürfen“, sagt Heidi Sterczweski. „Als wir dann aber gesehen haben,
dass der Vater den Staubsauger in die Hand genommen hat, waren wir schon beruhigt.“

Über den Iran, die Türkei, Griechenland und Österreich kam Familie Houmi im Jahr 2015 nach Deutschland. Vorher wohnte sie in einer kleinen Stadt nördlich von Kabul. Der Vater arbeitete dort als Taxifahrer. Mehrere seiner Familienmitglieder starben unter mysteriösen Umständen. Als auch er und seine damals noch vier Kinder mit dem Tode bedroht wurden, musste er fliehen. Der jüngste Sohn kam in Deutschland zur Welt. Die zwölfjährige Nilufar geht in Dresden inzwischen in die 4. Klasse und ist mittlerweile die Dolmetscherin der Familie. Zwar hat auch ihr Papa gerade einen ersten Deutschkurs hinter sich gebracht. Doch die Kommunikation im Alltag fällt ihm noch schwer. Wenn der Vater Fortschritte macht, könnte ihm Eugen Sterczweski vielleicht mal einen Job in der Fahrschule seiner Cousine vermitteln. Heidi und Eugen Sterczweski wollen ihren Teil dazu beitragen, dass die Familie ihr neues Zuhause besser kennen- und verstehen lernt. „Wir wollen ihnen die deutsche Normalität näherbringen“, sagt Eugen. Kürzlich luden sie die ganze Familie in den Zirkus ein. Auch ein Basketballspiel haben sie schon besucht. Aber nicht alles macht so viel Spaß. Neulich waren sie mit Milisa beim Zahnarzt. Es war das erste Mal für sie, und ihre Zähne mussten dringend begutachtet werden.

Etwa einmal in der Woche kommen die Sterczweskis nach Prohlis. Oft helfen sie den Kindern bei den Hausaufgaben und den Eltern im Behördendschungel. Gemeinsam fuhren sie zum Flüchtlingsrat und zur Ausländerbehörde. Die Houmis sind hier momentan nur geduldet.

Bei jedem Besuch ihrer Paten tafelt die Familie wieder ein Festmahl auf. „Die Mama bäckt alles“, sagt Heidi. „Wir müssen sie jedes Mal bremsen.“ Sie wollte helfen, und bekäme das in Herzlichkeit und Dankbarkeit nun „tausendfach zurück“.

Für Marion Teschke von der Caritas klingt das alles wie Musik in den Ohren. Wenn es doch immer so liefe – und vor allem viel, viel häufiger. „Mein Wunsch wäre es, dass jede geflüchtete Familie einen Deutschen an ihrer Seite hätte“, sagt sie. „Wir brauchen dringend eine zweite Welle.“ Noch vor zwei Jahren kamen die Flüchtlingsinitiativen hierzulande beim Abarbeiten der Hilfsangebote gar nicht mehr hinterher. Nun stehen sie vor dem gegensätzlichen Problem: Das Thema Flüchtlinge ist aus dem Fokus gerückt, Hilfe kommt nur noch vereinzelt.

Für das Patenprojekt sucht Marion Teschke nun dringend nach Neueinsteigern. Seit Anfang des Jahres konnte sie bislang erst – aber auch immerhin – 20 Patenschaften vermitteln. „Die Integration der nach Dresden geflüchteten Menschen und Familien müsste genau jetzt beginnen“, sagt sie. Viele wünschten sich Kontakt zu Einheimischen, wüssten aber nicht, wie sie das anstellen sollen. „Wir brauchen jetzt vor allem die Leute, die nicht immer in der ersten Reihe stehen, wenn es um Hilfe geht.“ Leute wie Heidi und Eugen Sterczweski.

Interessenten an einer Patenschaft erreichen Marion Teschke unter 0152/22861599 oder per Mail [email protected]