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Sturz in die Tiefe

Beim Bau der Thiendorfer Burger-King-Filiale ereignete sich 2013 ein schwerer Arbeitsunfall – jetzt wurde das Urteil dazu gesprochen.

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© ZB

Von Udo Lemke

Der 5. September 2013, ein Donnerstag, es ist etwa 12.50 Uhr. Für das Dach der im Bau befindlichen Thiendorfer Burger-King-Filiale ist gerade ein Stahlträger eingesetzt worden. Bauarbeiter Andreas T. steht auf dem Gerüst des Rohbaus. In der rechten Hand hält er die Schlingen, an denen der Träger hängt. Er will sie so weit als möglich wieder zurück zum Kran werfen, damit der letzte Träger eingehangen und verbaut werden kann. Mit der rechten Hand schleudert er die Schlingen Richtung Kran, mit der Linken hält er sich an einer Gerüststange fest – doch die gibt plötzlich nach. Andreas T. stürzt mit dem Kopf zuerst vier Meter hinunter in die Tiefe. Dabei zieht er sich so schwere Brüche an der Hals- und der Lendenwirbelsäule zu, dass ein ärztliches Attest von einer „kompletten Querschnittslähmung“ spricht.

Gestern fand am Amtsgericht Riesa nun der Prozess gegen den Geschäftsführer der Firma, die das Gerüst in Thiendorf gestellt hat, und gegen einen seiner Mitarbeiter statt. Ihnen wurde fahrlässige Körperverletzung zur Last gelegt. Richterin Ingeborg Schäfer hatte sechs Zeugen, darunter einen Sachverständigen für Arbeitsschutz, benannt, um die Schuld an dem tragischen Arbeitsunfall zu klären.

Geschädigter nicht transportfähig

Zuerst wollte sie vom Geschäftsführer der Gerüstbaufirma wissen, was für ein Gerüst an der Thiendorfer Burger-King-Filiale gestellt worden war. „Es handelte sich um ein ganz normales Fassadengerüst über zwei Etagen, ohne Besonderheiten“, erklärte der Geschäftsführer. Um „ein Gerüst als Absturzschutz“. Nachdem das Gerüst von zwei Kollegen gestellt worden sei, habe er es persönlich kontrolliert. „Ich bin die Lagen abgegangen, habe mir die Querverbindungen angeschaut, die Geländer angefasst, ob sie sicher sind. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass meine Kollegen das ordentlich gemacht haben“. Nachdem diese Checkliste abgearbeitet worden sei, habe er einen in Folie verpackten Freigabeschein ausgefüllt und vorschriftsmäßig an einem Leiteraufgang angebracht.

Der Anwalt des zweiten geladenen Mitarbeiters der Firma, ein Gerüstbauhelfer, erklärte, dass dieser überhaupt nicht auf die Anklagebank gehöre, da er keine sogenannte befähigte Person sei. Die weder den Gerüstaufbau verantwortlich überwachen noch das fertige Gerüst selbst abnehmen habe können.

Als dritter unmittelbar Beteiligter am Prozess hätte eigentlich Andreas T. im Riesaer Amtsgericht erscheinen müssen. Richterin Schäfer verlas jedoch eine ärztliche Erklärung, wonach dieser für die Fahrt von der Rehabilitationsklinik in Kreischa nach Riesa nicht transportfähig sei. „Herr T. kann nicht richtig sitzen, die Fahrt nach Riesa ist für ihn zu lang. Das ist ein Zustand, der sich aller Voraussicht nach nicht mehr ändern wird.“

Absolut rechtschaffener Bürger

In der Befragung der Zeugen – darunter zwei weitere Gerüstbauer und der Bauleiter – ergab sich, dass die Geländerstange ordnungsgemäß eingebaut worden sei, auch wenn sie leicht verbogen gewesen wäre. Genau dies bezweifelte der hinzugezogene Gutachter. Er erklärte, dass er die Stange aufgrund der Verbiegung nicht habe ordnungsgemäß einsetzen können. Außerdem warf er dem Geschäftsführer der Firma vor, gegen Sicherheitsrichtlinien verstoßen zu haben, wobei beim Aufbau eines jeden Gerüstes eine sogenannte befähigte Person, also ein dafür zugelassener Gerüstbauer, anwesend sein müsse, was in Thiendorf nicht der Fall gewesen sei. Eine nachträgliche Kontrolle des Gerüstes sei nicht ausreichend.

Staatsanwalt Martin König plädierte auf Einstellung des Verfahrens gegen den angeklagten Gerüstbauhelfer, da er als nicht befähigte Person nicht zur Verantwortung zu ziehen sei. Für den Geschäftsführer der Firma beantragte er wegen gefährlicher Körperverletzung sechs Monate Freiheitsentzug auf Bewährung. Richterin Schäfer schloss sich im Falle des Gerüstbauhelfers dem Staatsanwalt an. Im Falle des Geschäftsführers reduzierte sie das Strafmaß auf die Zahlung von 90 Tagessätzen zu je 50 Euro. Sie glaube nicht, dass die Geländerstange richtig eingesetzt worden sei. Außerdem hätte der Geschäftsführer eine befähigte Person zum Gerüstbau abstellen müssen. Für den Geschäftsführer spreche, dass er sich bislang „als absolut rechtschaffener Bürger“ geführt habe. Was den Geschädigten betrifft, „ so sind die Folgen für Herrn T. dramatisch. Er ist für den Rest seines Lebens gezeichnet“.

Der Geschäftsführer kann Revision gegen das Urteil einlegen.