Merken

Stühlerücken im Radeberger Stadtrat

Generationswechsel in drei Fraktionen. Linke und SPD jetzt mit neuen Nachwuchs-Chefs. Und es geht dabei auch eine wirkliche Ära zu Ende.

Teilen
Folgen
NEU!
© Thorsten Eckert

Jens Fritzsche

Radeberg. Charmant war er, der OB. „Wir konnten es nicht glauben, deshalb haben wir es im Einwohnermeldeamt nachprüfen lassen – aber Karin Saupe hat das 65. Lebensjahr tatsächlich schon erreicht“, sagte Stadtoberhaupt Gerhard Lemm (SPD), als er Mittwochabend einen wirklichen Generationswechsel im Stadtrat über die Bühne bringen musste. Denn mit Karin Saupe – die dann uneitel klarstellte, „mit über 70 muss man auch mal loslassen können“ – trat die langjährige Chefin der SPD-Fraktion in den politischen Ruhestand. Sechseinhalb Jahre war sie im Rat aktiv gewesen. Nach 44 Jahren im Schuldienst, „eine sehr aufregende Zeit“, resümierte sie.

Gleichzeitig verließ mit Gerd Erbes dann auch ein echter Haudegen der CDU-Fraktion – und auch Radebergs stellvertretender OB – das Stadtrats-Schiff. Mit über 73 hatte er schon zuvor im Liegauer Ortschaftsrat erklärt, aus dem er bereits Mitte vergangener Woche ausgeschieden war, mit über 73 sei es nun wirklich mal an der Zeit, Jüngeren Platz zu machen. Wobei sein Platz zumindest im Liegauer Ortschaftsrat frei bleiben wird. Die CDU hatte in Liegau nur zwei Kandidaten ins Rennen geschickt und beide schafften letztlich auch den Sprung in den Ortschaftsrat. Es gibt nun also niemanden, der nachrücken könnte … Im Stadtrat war Gerd Erbes dabei immerhin seit 1999 aktiv gewesen, also über 16 Jahre. „Auch wenn es immer mal verschiedene Meinungen gab, wir haben uns immer im Interesse der Stadt zusammengerauft“, fällt sein Fazit positiv aus.

Seit der Wende dabei

Noch länger dabei war Siegfried Hennig. Nämlich seit der Wende. Über 25 Jahre lang führte er die Stadtratsfraktion der Linken in Radeberg an. Und überhaupt geht mit Siegfried Hennigs Abgang eine wirklich Ära in Radeberg zu Ende. Er war 1986 als Bürgermeister nach Radeberg gekommen. Als echter Hoffnungsträger – sowohl für seine Partei, die SED, als auch für die Radeberger. Denn zuvor war Siegfried Hennig in Radebeul für moderate und intelligente Politik bekannt geworden – was nun auch für das politische Pulverfass Radeberg nötig gewesen war. „Hier war die Intelligenz konzentriert, jene Kreise, in denen die Unzufriedenheit mit dem SED-System am größten war“, blickte Hennig nach der Wende auf diese Zeit zurück. Und meinte vor allem die Computer-Schmiede Robotron; „die war keine Hochburg des Arbeiter- und Bauernstaates, sondern eine gut 5 000 Mitarbeiter große Küche, in der ein gewaltiger Kochtopf brodelte“, beschrieb er es später einmal in einem SZ-Interview.

Sein Rezept? „Wir haben damals die üblichen Einwohnerversammlungen aus den Wohngebieten in die Betriebe verlagert, weil dort die Probleme waren, die die Leute ansprechen wollten“, blickt er zurück. Er gab den Leuten die Möglichkeit zum Dampfablassen, aber er packte auch die Dinge an, die zu tun waren. Es fehlten beispielsweise Wohnungen – und auch die Innenstadt war von massivem Verfall geprägt. Unter Siegfried Hennig waren damals jene Konzepte erarbeitet worden, die dann in den ersten Jahren nach der Wende – mit Westgeld – auch umgesetzt werden konnten.

Und auch der Taubblindendienst der evangelischen Kirche verdankt Hennigs durchaus mutigen, unbürokratischen Entscheidungen so einiges. Denn als Ende 1988/ Anfang 1989 die Kirche versuchte, das heutige Taubblindenzentrum „Storchennest“ am Kreisverkehr Pillnitzer Straße zu erwerben, gab es ein großes Problem. Das Areal war kein Kirchen-Gelände, es gehörte dem Rat des Kreises. „Aber der damalige Radeberger SED-Bürgermeister Siegfried Hennig gab grünes Licht, das war außergewöhnlich“, kam auch Pfarrerin Ruth Zacharias, die langjährige Leiterin des Taubblindendienstes, auch Jahre später noch regelrecht ins Schwärmen. Der Nutzungsvertrag war dann im Juni 1989 unterschrieben worden; also noch Monate vor der politischen Wende.

Er holte die meisten Stimmen

All das würdigten die Radeberger auch nach der Wende noch. Bei jeder Wahl holte Siegfried Hennig mit die meisten Stimmen aller Kandidaten. Und 1994 hatte er zudem quasi auch den Weg freigemacht für Gerhard Lemm als künftigen Bürgermeister. Denn die damalige PDS und spätere Linke wollte ursprünglich mit Hennig als Kandidaten ins Rennen gehen. Und die Chancen standen dabei nicht schlecht, dass er erneut Stadtoberhaupt hätte werden können, sind nicht wenige überzeugt. Als dann aber die SPD mit dem heutigen OB Gerhard Lemm einen jungen, unverbrauchten Mann aus dem Westen ins Bürgermeister-Rennen schickte, trat Hennig von seinen Wahlabsichten zurück. Er habe den Platz dabei durchaus bewusst freigemacht, sagte er später mal in einem Gespräch mit der SZ: „Es wäre damals nicht gut für die Stadt gewesen, wenn ein PDS-Mann Bürgermeister geworden wäre – bei der Bereitstellung von Fördermitteln zum Beispiel hätte es durch die CDU-Dominanz in der sächsischen Landesregierung Probleme geben können“, war er überzeugt.

Nun also rücken für die drei „Urgesteine“ jüngere Leute in den Stadtrat nach. Für Karin Saupe sitzt künftig Maria Walther in der SPD-Fraktion. Für Gerd Erbes rückt Uwe Meyer aus Ullersdorf in die CDU-Fraktion nach. Und Siegfried Hennigs Platz in der Linken-Fraktion nimmt Michael Kluge ein. Linke und SPD brauchten zudem auch neue Fraktions-Chefs. Die Sozialdemokraten führt ab sofort Radebergs Feuerwehrchef Frank Höhme an; und neuer Linken-Chef ist der 39-jährige Ronny König.

Ein Generationswechsel eben.