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Stress in der Notaufnahme?

Immer mehr Patienten suchen die Rettungsstellen der Krankenhäuser auf. Aber nicht alle gehören dorthin.

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© Matthias Schumann

Von Marleen Hollenbach & Frank Oehl

Es ist Akkordarbeit. Nur kurz können sich Oberarzt Torsten Eckert und Schwester Evelin Schwind um den kranken Fuß eines Patienten kümmern. Dann müssen sie schon zum nächsten. Die beiden wissen: Das Wartezimmer ist voll. Die Stühle reichen kaum aus. Rund 60 Patienten werden sie an diesem Tag versorgen müssen. Dabei ist die Notaufnahme des Bautzener Krankenhauses nur auf 30 erkrankte Menschen ausgelegt. Der Patientenansturm bringt Ärzte, Schwestern und Pfleger nicht nur hier an ihre Grenzen. Die SZ hat sich einen Überblick verschafft.

Wie hat sich die Patientenzahl der Notaufnahme entwickelt?

Die Statistik zeigt eindeutig: Immer mehr Patienten suchen die Rettungsstellen der Krankenhäuser auf. Beispiel Bautzen: Wurden hier 2012 etwa 15 900 Menschen in der Notaufnahme behandelt, so waren es 2013 schon 16 100. „Im vergangenen Jahr haben wir sogar 17 200 Patienten gezählt“, sagt Krankenhaus-Chef Reiner E. Rogowski. Und auch in diesem Jahr erwarte der Pulsnitzer eine ähnlich hohe Zahl. „An Feiertagen haben wir statt 60 plötzlich 200 Patienten pro Tag.“ Das seien Tage, vor denen sich die Mitarbeiter fürchten würden. Auf einen ähnliche Patienten-Zuwachs verweist auch Geschäftsführer Alex Blaicher für das Malteser Krankenhaus St. Johannes in Kamenz: „Besonders in der Urlaubszeit oder am Wochenende kommen Patienten in unsere Notaufnahme, ohne wirklich immer ein Notfall zu sein.“ Das führe schon mal zu Stresssituationen, so Dr. Blaicher.

Was ist eigentlich ein Notfall, der im Krankenhaus behandelt wird?

Die Rettungsstellen des Krankenhäuser sind darauf eingerichtet, schwerstkranke Patienten aufzunehmen. „Dazu gehören zum Beispiel Menschen, die einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erleiden“, sagt Oberarzt Torsten Eckert. Aber auch akute Baucherkrankungen sind in der Notaufnahme richtig, genauso wie Menschen, die sich etwas gebrochen haben oder deren Schnittwunden versorgt werden müssen. Für diese Patienten stehen in Bautzen neun Behandlungsplätze und 15 Liegen zur Verfügung. Doch dieser Platz reicht immer öfter nicht aus. Denn mittlerweile kommen auch Patienten in die Rettungsstelle, die eigentlich keine akute Erkrankung haben. Oberarzt Eckert denkt da vor allem an Menschen mit Knie- und Hüftbeschwerden. Die müssten eigentlich ihren Hausarzt aufsuchen. Schwester Evelin Schwind kann sich auch an Patienten erinnern, die mit einer einfachen Erkältung kamen. „Menschen mit Husten und Schnupfen sehen wir hier gar nicht gern“, sagt sie. Nach bestimmten Kriterien müssen die Mitarbeiter der Notaufnahme einschätzen können, wie lange ein Patient warten kann. Betrachtet werden zum Beispiel Schmerzen, Blutverlust, Bewusstsein, Temperatur und Krankheitsdauer. Wer also mit einer einfachen Erkältung komme, müsse dann besonders lange im Wartezimmer sitzen.

Welche Alternativen für Patienten gibt es?

Wer sich nicht gut fühlt und Beschwerden hat, der muss nicht immer gleich die Notaufnahme des Krankenhauses aufsuchen. Für dringende, aber nicht lebensbedrohliche Fälle gibt es eine Alternative. Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) hat eine Hotline für die Vermittlung von Hausbesuchen eingerichtet. Wer die Nummer 116 117 wählt, der erfährt, welcher Arzt in der Nacht oder am Feiertag Bereitschaftsdienst hat. Jeder niedergelassene Arzt hat die Pflicht, an diesem Notdienst teilzunehmen. Der Arzt, der dann beispielsweise in der Nacht oder am Feiertag Dienst hat, kommt zu dem Patienten nach Hause. Noch funktioniert dieses System, das die Notaufnahmen der Kliniken entlasten soll. Doch es ist fraglich, wie lange noch. Denn viele Hausärzte im Kreis Bautzen suchen bereits händeringend Nachfolger. Von den 210 hier niedergelassenen Allgemeinmedizinern sind bereits 45 über 60 Jahre alt, darunter 20 zum Teil schon weit über 65. Viele Praxen im Landkreis stehen bereits leer. Allein in den letzten beiden Jahren wurden im Landkreis neun Hausarztpraxen geschlossen, weil sich kein Nachfolger fand. Wenn es nach der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen geht, dann könnten sich im Landkreis noch elf Ärzte niederlassen. Doch bis jetzt hat sich nur für eine dieser Stellen ein Bewerber gefunden.

Was tut das Krankenhaus, um mit dem Patientenansturm zurechtzukommen?

Oberlausitz-Klinik-Chef Rogowski: „Wir können auf die Mediziner auf dem Land nicht verzichten.“ Ganz ohne den hausärztlichen Bereitschaftsdienst gehe es nicht. Doch eben weil es immer weniger Hausärzte gibt und weil das Krankenhaus schon jetzt Probleme hat, alle Notfallpatienten unterzubekommen, investiert Bautzen jetzt in eine neue Notaufnahme. „Dann können wir hier doppelt so viele Patienten aufnehmen“, sagt der Krankenhaus-Chef. Außerdem wird die Zufahrt verbessert. Doch bis es so weit ist, wird es noch eine Weile dauern. Ende 2016 soll die neue Notaufnahme eröffnen.

Im Malteser Krankenhaus St. Johannes ist die Notaufnahme samt Zufahrt in Schuss. Geschäftsführer Dr. Blaicher sieht die höheren Anforderungen an das Personal, rückt aber den Patienten dennoch in den Mittelpunkt. „Wir lassen jedem die gleiche fürsorgliche Behandlung zukommen, auch wenn der Andrang in der Notfallaufnahme einmal stärker ist.“ Dass das funktioniert, machte am gestrigen SZ-Lesertelefon Christine Vogel aus Pulsnitz deutlich. „Mein Mann, der schon sechs Jahre im Rollstuhl sitzt, musste jetzt wegen einer allergischen Reaktion nächtens in die Notaufnahme und in die Intensivbehandlung. Wir haben überall ein sehr freundliches Personal erlebt.“ Auch im Namen ihres Mannes, der inzwischen wieder zu Hause ist, bedankt sich die Leserin beim Team des Krankenhauses. „So gut sind wir nicht überall behandelt worden.“