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Streng geheim

Die NVA wartete einst bei Straßgräbchen Raketen. Geblieben sind Ruinen. Doch das Interesse ist groß.

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© Matthias Schumann

Von Nicole Preuß

Straßgräbchen. Diese kleine Stadt ist gespenstisch. Die Gebäude sind leer und die Fenster kaputt. Irgendwelche Randalierer haben die Fassaden beschmiert und Firmen haben schon vor Zeiten alle Türen ausgebaut. In diesem Ort im Wald arbeitete und lebte einmal das Flugabwehr-Raketen-Regiment 31 der Nationalen Volksarmee. 800 Soldaten waren zeitweilig allein in Straßgräbchen stationiert. Ein langer Elektrozaun, Mauern und Maschendraht schirmten das Gelände ab. Selbst im nahen Dorf wussten die meisten nicht, was die NVA-Soldaten hier im Wald trieben. Und die im Regiment arbeiteten, durften es nicht erzählen.

Uwe Schädel (Mitte) war zuletzt Kommandant der Technischen Abteilung. Er erklärte die Raketentechnik.
Uwe Schädel (Mitte) war zuletzt Kommandant der Technischen Abteilung. Er erklärte die Raketentechnik. © Matthias Schumann
Mehrere Zäune sicherten zu DDR-Zeiten das Gelände. Heute ist es offen für jedermann.
Mehrere Zäune sicherten zu DDR-Zeiten das Gelände. Heute ist es offen für jedermann. © Matthias Schumann
Konrad Heinze lebt in Straßgräbchen. Der Elektriker arbeitete einst für das Regiment und kennt viele Fakten.
Konrad Heinze lebt in Straßgräbchen. Der Elektriker arbeitete einst für das Regiment und kennt viele Fakten. © Matthias Schumann

Das ist heute anders. Konrad Heinze hat sich seine rote Jacke übergestreift. Der Elektriker aus Straßgräbchen arbeitete einst als einer von rund 60 Zivilisten bei den Soldaten. Er kümmerte sich um Heizung, Strom und vieles andere. „Wenn ich gesagt habe, ich arbeite da in Straßgräbchen, haben die Leute schon gar nicht mehr weiter gefragt“, sagt er. Der Heimatverein hat zu einer Tour über das Gelände eingeladen und 250 Leute sind gekommen. Der Bernsdorfer Uwe Schädel hat bei der Tour den technischen Part übernommen. Der 72-Jährige war zuletzt Kommandeur der Technischen Abteilung des NVA-Fla-Raketen-Regiments. Und er erkennt die Gebäude und Bunker aus seiner jahrzehntelangen Arbeit noch, obwohl sie sich ganz schön verändert haben.

Über 100 Gebäude verschwunden

Die Großküche mit den drei Speisesälen für Soldaten, Offiziere und Leitung steht nicht mehr. Die Feuerwehr wurde auch abgerissen. Das Heizungsgebäude und auch die Fahrschulbaracke sind verschwunden. Die Liste ist lang. 50 Prozent der rund 100 Gebäude wurden bereits abgerissen. Die anderen werden folgen. „Alles wird wieder Wald“, sagt der zuständige Revierförster der Bundesforstverwaltung Rüdiger Schwark. „In 10 Jahren wird hier wahrscheinlich nichts mehr sein.“ Nur die Großbunker werden voraussichtlich bleiben. „Der Rückbau dieser Bauten wäre unverhältnismäßig“, sagt der Förster. Vielleicht siedeln sich dort mal Fledermäuse an, meint er. In Bunkern, die eigentlich mal für Raketen erbaut wurden.

1963 entstanden die ersten Hallen und Garagen in dem Wald bei Straßgräbchen. Ein Hochsicherheitszaun wurde um das Gelände gezogen. Doch das genügte den Verantwortlichen irgendwann nicht mehr. In den 70er Jahren entstand eine zweite Abteilung mit weiteren Gebäuden, darunter fünf Blöcken, die heute noch stehen. Die Farbe blättert von der Fassade. Von Fenstern ist schon gar nichts mehr zu sehen. In einem Block war der Stab untergebracht, in zwei anderen wurde gewohnt, im nächsten arbeiteten die Leute von der Nachrichtenabteilung und im letzten lebten ledige Soldaten. Dort hatten auch der Arzt und der Zahnarzt ihre Räume. Herzstück der zweiten Abteilung waren aber die Bunker. Man erhoffte sich davon mehr Sicherheit. Die Bestandteile der Rakete mussten damit nicht mehr in der Halle untergebracht werden. Im Kriegsfall hätte ein Flieger so ein Gebäude relativ leicht zerstören können. Der Bunker bot mehr Schutz.

Keine Abschussrampe in Straßgräbchen

Die Soldaten warteten in Straßgräbchen Raketen der damals verbreiteten Typen 11D und 20D. Die Männer enttankten die Raketen, bauten sie auseinander und verpackten die Teile. Sie trainierten aber auch, die totbringenden Waffen in einer gewissen Zeit zusammenzusetzen und zu betanken. „Wir hatten aber keine Abschussrampe“, sagt Konrad Heinze. Die Rampen des Fla-Raketen-Regiments standen in Kroppen, Großdöppern, Großräschen und Großröhrsdorf. Die sechs Raketen, die pro Standort immer auf der Rampe bereitlagen, und die sechs, die noch zusätzlich auf Fahrzeugen bereitstanden, mussten aber regelmäßig überprüft und gewartet werden. Und dieser Prozess begann aller zwei Jahre in Straßgräbchen.

Schon der Transport war jedoch eine heikle Sache. Nur wenige durften davon wissen. Also fuhren die Laster noch in den 60er Jahren ausschließlich in der Nacht. Planen schützten die zehn Meter langen und eine Tonne schweren Raketen vor neugierigen Blicken. Das Regiment in Straßgräbchen hatte aber auch einen Schienenanschluss und eine Diesellock. In Containern wurde so Technik aus Russland heran geholt und Raketenteile zur Instandsetzung ins Industriewerk Pinnow nördlich von Berlin gebracht. 1990 übernahm die Bundeswehr. Sie konnte mit dem Gelände in Straßgräbchen aber wenig anfangen. Jahrelang wurde Technik ausgeräumt und schließlich verfiel das Gelände. Kriminelle sollen sich dort herumgetrieben haben. Das ehemalige NVA-Gelände war dem Vernehmen nach ein Umschlagplatz für alles Mögliche. Der Ort war abgeschieden und trotzdem über Betonstraßen erreichbar.

Betonstraßen bleiben

Heute werden die Bunker für verschiedene Dinge genutzt. In einem großen Schutzraum lagern Feuerwerkskörper für Silvester, in einem anderen hat ein Landwirt Stroh und Heu abgelegt. Und wenn mal wieder Geld durch eine Ausgleichsmaßnahme hereinkommt, wird eines der Gebäude abgerissen. Gerade ist ein Bagger dabei, die Fläche gegenüber der alten Tankstelle aufzureißen. Die Betonstraßen, die die Gebäude miteinander verbinden, bleiben aber. „In Zeiten der Holzernte kann ein Lkw dadurch ganzjährig in den Wald fahren. Das ist ein großer Vorteil“, sagt der Förster Rüdiger Schwark. Der Heimatverein will am Thema dranbleiben und plant bereits weitere Veranstaltungen zum Gelände. Denn noch erinnern ein paar Ruinen an die NVA-Geschichte von Straßgräbchen.