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Streit um neue Hürden fürs Gymnasium

Künftig entscheiden die Eltern über den Bildungsweg. Regeln dafür gibt es trotzdem. Die entzweien Dresdens Lehrer.

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© André Wirsig

Von Sarah Grundmann, Nora Domschke, Annechristin Bonss und Julia Vollmer

Viele Dresdner Eltern sind irritiert. In den vergangenen Tagen flatterte bei allen Schülern der vierten Klassen ein Schreiben von Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) in den Briefkasten. Es geht um die Neuregelung der Bildungsempfehlung. Die bestehende Variante wurde vom Oberverwaltungsgericht gekippt, nun gibt es einen neuen Vorschlag von CDU und SPD, über den im sächsischen Landtag noch abgestimmt werden muss.

Demnach bekommen Viertklässler weiterhin nur dann eine Empfehlung für das Gymnasium, wenn der Notendurchschnitt in den Fächern Deutsch, Mathe und Sachkunde mindestens bei 2,0 liegt. Die Entscheidung über den Bildungsweg soll künftig aber allein bei den Eltern liegen. Wollen sie ihr Kind trotz Oberschul-Empfehlung aufs Gymnasium schicken, muss ein unbenoteter Test absolviert werden. Darauf aufbauend gibt es ein Beratungsgespräch zwischen Schulleitung und Eltern. Im März 2017 soll es so weit sein.

Was bedeutet das für Dresden? „Wir sind empört und fassungslos“, sagt Armin Asper. Er ist nicht nur Leiter des Martin-Andersen-Nexö-Gymnasiums, sondern auch Vorsitzender der Gymnasialdirektoren-Vereinigung Sachsen. „Der Vorschlag ist ein fauler Kompromiss, der zulasten aller Beteiligten geht.“ Asper befürchtet verärgerte Eltern, gestresste Schüler und einen Mehraufwand für Lehrer und Schulleiter. Und wofür? Viele Dresdner Eltern werden von der Regelung Gebrauch machen, meint Asper. Dass sie sich von dem Gespräch beeinflussen lassen, bezweifelt er hingegen. Aspers Lösung: Die bisherige Regelung im Schulgesetz verankern.

Das findet auch Frank Haubitz gut, der das Gymnasium Klotzsche leitet: „Ich arbeite seit 27 Jahren als Schulleiter und kann sagen, dass das alte System funktioniert hat.“ Grundschullehrer hätten verantwortungsbewusst und individuell ihre Empfehlungen abgegeben. Die Quote derjenigen, die auf dem Gymnasium gescheitert sind, sei dadurch verschwindend gering gewesen. Haubitz glaubt zwar nicht, dass der Vorschlag zu einem Run führt: „Die Möglichkeit wird von den drei Prozent der Eltern wahrgenommen, die denken, dass sie es besser wissen als die Lehrer.“ Dass diese sich in einem Gespräch bekehren lassen, bezweifelt auch er. Anders sieht das Cornelia Hiller, Leiterin des Hülße-Gymnasiums in der Hülßestraße.

Sie freut sich über den Vorstoß: „So können wir den Leistungsdruck aus den Grundschulen nehmen.“ Dem stimmt auch Flavia Urspruch zu, Leiterin des Freien Semper Gymnasiums in der Neustadt. „Bei uns ist die Situation ohnehin anders als an staatlichen Einrichtungen“, sagt sie. Die Lehrer führen schon jetzt Beratungsgespräche, einen Mehraufwand befürchtet sie daher nicht. „Ich sehe den Vorschlag positiv, weil die Entscheidung zwischen Oberschule und Gymnasium für viele Kinder zu früh kommt. Oft wissen die Eltern besser, was für ihre Kinder gut ist.“

Die sind jedoch geteilter Meinung, weiß Kreiselternsprecherin Annett Grundmann. „Die eine Hälfte findet es gut, jetzt mehr selbst entscheiden zu können, die andere schätzt die Empfehlung der Lehrer“, sagt die 44-Jährige. Grundmann selbst steht der neuen Regelung eher skeptisch gegenüber. Für die Psyche der Kinder sei es schwierig. Sie setzen sich unter Druck, die Prüfung abzulegen, freuen sich vielleicht schon auf die neue Schule. Was ist, wenn sich Eltern nach dem Test doch anders entscheiden?

Der CDU-Landtagsabgeordnete Christian Piwarz hat den Antrag mit auf den Weg gebracht. Es gehe darum, den Eltern mit der neuen Regelung für die Bildungsempfehlung keinen Freibrief in die Hand zu geben. Der Test sei sowohl für die Eltern als auch für die Lehrer ein Instrument, die Leistung und den Wissensstand des Kindes unabhängig von den Noten einzuschätzen. „Wir wollen damit zum einen die Qualität an den Gymnasien erhalten.“ Andererseits sei es aber auch wichtig, das Kind vor zu hohen Ansprüchen zu schützen, sagt er. Der Politiker erwartet keinen drastischen Anstieg bei den Anmeldezahlen für Dresdner Gymnasien. Das sieht auch Bildungsbürgermeister Peter Lames (SPD) so.

Doch was erwartet die Schüler bei den Tests?

„Die Details der Leistungsfeststellungen werden gerade erarbeitet“, sagt Susann Meerheim, Referentin des Sächsischen Kultusministeriums. „Grundsätzlich wird sich der Test an den bisherigen Eignungsprüfungen anlehnen.“ Auch jetzt schon können Schüler mit Oberschulempfehlung eine schriftliche Prüfung ablegen, um aufs Gymnasium zu gelangen. Sie dauert etwa eine Stunde und fragt Wissen in Deutsch, Mathe und Sachkunde ab. Kommentar