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Straßenladen ohne Preise

Wer nichts hat oder nur wenig, dem wird im „Street Store“ gegeben – samt Haarschnitt. Das garantiert Ivana Pezlarova.

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© Stefan Becker

Von Stefan Becker

Der Straßenladen namens „Street Store„ kommt und geht, öffnet mal hier und mal dort und passt sein Sortiment stetig an. Denn hinter der mobilen Aktion für sozial Schwache steht eine ziemlich starke Idee aus Südafrika.

Als Ivana Pezlarova zum ersten Mal über das Internet davon erfuhr, kontaktierte sie gleich die Initiatoren auf der anderen Seite der Erde und meldete vor einem Jahr den ersten „Street Store“ in Deutschland an. „Uns gefiel die Idee sofort, ohne großen Aufwand und mit wenigen Mitteln den Obdachlosen und weiteren Bedürftigen einer Stadt helfen zu können“, sagt die junge Frau mit dem charmanten tschechischen Akzent in der Stimme.

Die 31-jährige Freiberuflerin arbeitet unter anderem für die Brücke/Most-Stiftung in Dresden. Hinter den dicken Mauern der Jugendstil-Villa in Blasewitz arbeitet die Stiftung seit 1997 mit kulturellen Angeboten und in Bildungsprojekten an der deutsch-tschechischen Freundschaft. „Unsere Teilnehmer sollen Mittel zur Hand bekommen, wie sie sich engagieren können“, sagt Susanne Gärtner, verantwortlich für den Bereich Gesellschaft & Geschichte. Dort setzt diesen Donnerstag auch der weltweit 491. „Street Store“ in der Altstadt von Dresden an. In dem mobilen Straßenladen können sich Bedürftige aus einem Sortiment gespendeter Kleidung und Schuhe das Passende aussuchen und einen frischen Haarschnitt abholen.

Diesmal beschränke sich das Angebot nicht allein auf die Gabe von Dingen für das tägliche Leben, sagt Pezlarova. Neben der Treberhilfe, die ihren Bus an der Ecke Wallstraße/Dr.-Külz-Ring parkt und kostenloses Essen anbietet, kooperiert auch der Sächsische Flüchtlingsrat mit der Aktion. Als im Mai 2015 der erste „Street Store“ im Alaunpark seine imaginären Tore öffnete, machte sich kaum jemand Gedanken über die Zahl der Flüchtlinge, die in den nächsten Monaten in Sachsen ankommen sollten. Jetzt sind sie da, die Integration kommt langsam in die Gänge, für den Einzelnen aber meist zu langsam.

Viele sichtbare und unsichtbare Barrieren blockieren auch in Deutschland den Weg in ein sogenanntes geregeltes Leben, wie es zum allgemeinen Kulturkonsens gehört. Dessen Fundament basiert immer noch auf Arbeiten und Wohnen. Wem aber diese Sicherheit samt den damit verbundenen sozialen Kontakten fehlt, der verliert schnell den Boden unter den Füßen.

„Obdachlose leben das Dilemma am Rande der Gesellschaft, sie zählen leider zu den Ausgegrenzten, und viele Flüchtlinge teilen bereits ihr Schicksal, allein weil sie es mit der Sprache schwerhaben“, sagt Pezlarova. Die studierte Kulturwissenschaftlerin aus Brno weiß, was es bedeutet, sich in einer fremden Sprache langsam heimisch zu fühlen. Mittlerweile lese sie auch Bücher auf Deutsch, sagt sie, besonders gerne Stefan Zweig, doch anfangs sei es ein Kampf gewesen. Der begann schon während der Kindheit zu Hause in Tschechien, wo der Vater regelmäßig bei einem älteren Freund der Familie seine Lektionen lernte.

Die jüngere seiner beiden Töchter entwickelte ebenso ein Faible für die Sprache und setzte die Studien nach der Uni während eines Freiwilligen Jahres bei der Brücke/Most-Stiftung in Dresden fort. Der Praxistest ging ans Herz, und sie blieb treu: der Stadt, der Sprache und der Stiftung. Dort koordiniert sie gemeinsam mit Susanne Gärtner das Projekt „Hier sind wir“, unter dessen Dach der Straßenladen eröffnet.

Dazu zählt diesmal der syrische Friseur Alaa Alhalabe. Der gelernte Figaro verließ sein Land, als seine Existenz in Schutt und Asche lag, als es für seine Zukunft in der alten Heimat keine Hoffnung mehr gab. Mit Kamm, Schere und Rasierer will er sich in seiner neuen Heimat beweisen und frisiert am „Street Store“ die Laufkundschaft, ob sesshaft oder nicht. In dem Sinne soll der Straßenladen auch ein Treffpunkt für Menschen sein, die keine Scheu voreinander haben und stattdessen das spontane Miteinander lernen.

Denn so sporadisch wie der „Street Store“ auftaucht, so schnell verschwindet er wieder. Zumindest temporär von der Bildfläche, aber nicht aus den Köpfen. Denn in Seattle, Rio und Kapstadt stehen längst die Termine für die nächsten Straßenläden und auch Ivana Pezlarova plant schon den nächsten Spenden-Shop.

Die Brücke/Most-Stiftung

„Street Store“am Donnerstag von 15 Uhr bis 19 Uhr in der Altstadt an der Ecke Wallstraße und Dr.-Külz-Ring, zwischen Altmarkt und Centrum-Galerie.

Vernissage vom Fotografie-Workshop „Dresden – auch unsere Stadt“ am Sonntag, 28. August um 19 Uhr.