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Stigma Hartz IV

Die Fotografin Nancy Großpietsch hat 39 Frauen und Männer porträtiert. Junge und alte, arme und reiche, gestrauchelte und erfolgreiche. Doch welches Gesicht ist von sozialer Not gezeichnet oder von Wohlstand geprägt?

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© Nancy Großpietsch

Von Nadja Laske

Die Fotografin hat dunkle, lange Haare. Pony, Lidstrich, Piercing in der rechten Unterlippe. Realschule, Fach-Abi, FSJ, Studium. Kein Hartz IV. Sie könnte auch Lehrerin oder Hausfrau sein. Niemand sieht Nancy Großpietsch an, womit sie ihr Geld verdient. Und ob sie Geld verdient.

Ausstellung "Hartz IV als Stigma"

Raumausstatterin? Archäologin? Aufstockerin?
Raumausstatterin? Archäologin? Aufstockerin?
Student? Pflegedienstleiter? Hartz IV-Empfänger?
Student? Pflegedienstleiter? Hartz IV-Empfänger?
Bildungsreferentin? Hausfrau? Minijobberin?
Bildungsreferentin? Hausfrau? Minijobberin?
Verwaltungsfachwirt? Arzt? Langzeitarbeitsloser?
Verwaltungsfachwirt? Arzt? Langzeitarbeitsloser?
"Wir stellen keine Empfänger von Hartz IV aus, wir zeigen Menschen": Nancy Großpietsch, Fotografin, hat 39 Frauen und Männer porträtiert. Junge und alte, arme und reiche, gestrauchelte und erfolgreiche.
"Wir stellen keine Empfänger von Hartz IV aus, wir zeigen Menschen": Nancy Großpietsch, Fotografin, hat 39 Frauen und Männer porträtiert. Junge und alte, arme und reiche, gestrauchelte und erfolgreiche.

Genau so wenig weiß man das von all den Menschen, deren großformatige Porträts derzeit im Foyer der Dreikönigskirche zu sehen sind. Nancy Großpietsch hat sie fotografiert. Biometrisch, ungeschönt und anonym: einen Juristen, eine Krankenschwester, eine Mathematikerin, einen Koch. Insgesamt 39 Frauen und Männer haben sich für das Projekt „Hartz IV als Stigma“ vor die Kamera der 24-Jährigen begeben. Ihre Bachelor-Arbeit im Fach Medientechnik schrieb sie über die Charity-Aktion „Help-Porträt“, bei der sich Bedürftige kostenlos von Profi-Fotografen porträtieren lassen können. Darüber fand Nancy Großpietsch Kontakt zur Evangelischen Akademie Meißen, die Hartz IV und dessen Widerhall in der Gesellschaft zum Thema einer Ausstellung machen wollte.

Damit die Fotografin den fachlichen Part übernehmen konnte, ging Projektkoordinator André Fleck auf die Suche nach Protagonisten. „Ich hatte gehofft, 20 Menschen zu gewinnen. Dass es am Ende fast 40 geworden sind, war eine große Überraschung“, sagt er. Einige davon leben von staatlicher Unterstützung, andere haben früher einmal Hartz IV in Anspruch genommen. Sogenannte Aufstocker sind dabei, Beschäftigte, die zusätzlich zu ihrem Lohn auf Sozialleistungen angewiesen sind. Welche Biografie welches Gesicht geprägt hat, bleibt ein Geheimnis. Jeder könnte zum wirtschaftlichen Schlusslicht der Gesellschaft gehören. Mittellose reihen sich neben Gutverdienern ein, deren Züge nicht sichtlich von Wohlstand zeugen.

Ganz bewusst hat sich Nancy Großpietsch für eine puristische, neutrale Darstellung entschieden. Weder sollte ein Umfeld im Hintergrund ihrer Fotos Rückschlüsse auf den sozialen Stand der Modelle erlauben noch die Kleidung oder der Zustand der Zähne. So entzieht sie die Porträtierten dem Vorurteil des Publikums. Ist er ...? Oder ist sie ...? Diese Frage jedoch schleicht sich in die Gedanken fast jedes Betrachters. Und wirft sie auf ihn zurück.

„Hartz IV als Stigma“, eine Auswahl der Porträts sind bis 31. Juli zu sehen: Mo. bis Fr., 9–18 Uhr; Sa., 10–18 Uhr; So., 11–16 Uhr; Haus der Kirche, Hauptstraße; Eintritt frei