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Stichlinderer steht vorm Sprung nach China

Nachdem André Liebermanns Erfindung bekannt wurde, gab es ein riesiges Echo. Jetzt stehen wichtige Entscheidungen an.

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© Sebastian Schultz

Von Eric Weser

Gröditz. Kann es ein schöneres Kompliment geben? „Dieses kleine unscheinbare Ding hat es geschafft, uns unser Leben zurückzugeben“, schreibt Rebecca Schreyer auf Facebook. In emotionalen Worten schildert die junge Mutter aus Bayern, wie Mückenstiche ihrem kleinen Sohn das Leben zur Hölle machten. Und wie der Stichlinderer, dieses „kleine unscheinbare Ding“ aus Gröditz, dieses lästige Problem aus der Welt geschafft hat.

André Liebermann will den ganzen Winter über Tausende Exemplare in der heimischen Garage bauen.
André Liebermann will den ganzen Winter über Tausende Exemplare in der heimischen Garage bauen. © Eric Weser

André Liebermann sitzt in der heimischen Küche und erzählt stolz von seinem Kontakt mit der jungen Mutter. Und ganz vielen anderen Menschen, denen er habe helfen können mit seinem Stichlinderer. Jenem taschenmessergroßen Gerät aus Holz und Metall, das mittels Reibungswärme bei Insektenstichen das schmerzhafte Jucken beseitigen soll. Der Gröditzer hatte das Teil entwickelt, nachdem er selbst von einer Wespe gestochen worden war.

Nachdem die SZ im August zuerst über Liebermann und seine Erfindung berichtet hatte, folgte ein großes mediales Echo. Am Gröditzer Nordrand gaben sich über mehrere Wochen die Journalisten die Klinke in die Hand. Zeitungen, Radio, Fernsehen – alle kamen, um zu berichten. Menschen wie die junge Mutter Rebecca Schreyer wurden aufmerksam auf den Stichlinderer. Plötzlich wollten alle wissen: Funktioniert das wirklich? „Ich bin regelrecht überrannt worden“, erzählt Erfinder André Liebermann, der mit dieser großen Resonanz nicht gerechnet hatte.

Aber nicht nur Abnehmer für das Gerät klopften an. Auch Leute, die ein Geschäft witterten. „Da erlebt man viel“, sagt André Liebermann schmunzelnd und erzählt von einem Vermarkter, der ihm ein Angebot für eine Werbepartnerschaft machte. Weil ihm das halbseiden erschien, lehnte der Gröditzer ab. Dass ein anderer Geschäftsmann den Stichlinderer im Alleingang vertreiben wollte, erschien Liebermann ähnlich suspekt. Den Rat, seine Idee zu verkaufen, lehnte der Entwickler ebenfalls ab.

Eine Herausforderung ganz anderer Art kam von anderer Seite. Und sie hätte fast das Aus für das Produkt bedeutet – obwohl alles gut angefangen hatte: Manufactum, ein Händler für hochwertige Haushaltswaren zeigte Interesse – wollte aber das sogenannte medizinische CE-Kennzeichnung des Stichlinderers sehen. „Da musste ich mich erst mal schlau machen“, erzählt André Liebermann. Er erfährt, dass das Zertifizierungsverfahren Monate dauern und vermutlich Zehntausende Euro kosten dürfte. „Da habe ich eine Nacht nicht geschlafen“, sagt der Gröditzer. André Liebermann telefoniert, erklärt, fragt sich durch. Schließlich die Lösung. Schwarz auf weiß erhält er von kundiger Stelle die Aussage, dass sein Stichlinderer kein Medizinprodukt im gesetzlichen Sinne ist. Keine CE-Kennzeichnung notwendig.

Derzeit steht André Liebermann in Verhandlungen, an deren Ende für seinen Stichlinderer der Sprung nach China stehen könnte. Denn sollte das Gerät in riesigen Stückmengen benötigt werden, dürfte die Gröditzer Garage als Manufaktur irgendwann nicht mehr ausreichen. Einen ersten Nachbau seiner Erfindung aus Fernost hat André Liebermann schon geliefert bekommen – und zeigt sich angetan. „Die Qualität muss stimmen“, sagt Liebermann, der selbst Perfektionist ist.

Bis andere die Produktion seines Stichlinderers übernehmen, dürfte aber noch einige Zeit vergehen. Vorerst mache ihm die Herstellung als Ein-Mann-Betrieb noch Spaß, sagt André Liebermann. Solange das so bleibt, stelle er jedes Teil in Handarbeit in der heimischen Garage her. Die hat seit dem Sommer viel Innovation gesehen: Wo anfangs eine Bohrmaschine stand, findet sich jetzt eine ganze Galerie an Bohrgeräten. Der erste Laser zum Eingravieren des Stichlinderer-Logos – einer stilisierten Mücke – hat nach einigen Hundert Einsätzen längst kapituliert. Inzwischen brennt eine Profi-Maschine das Logo und den Produktnamen punktgenau ins Buchenholz.

Das Geld fließt in neue Maschinen

Finanziert hat André Liebermann seinen erweiterten Maschinenpark vollständig aus dem Verkauf von Stichlinderern, erzählt er. Ganz zu Beginn seiner Tüfteleien habe er mal gedacht, dass er vielleicht einmal zehn oder 20 seiner Geräte würde absetzen können. Ob er die Gebühren fürs Patentamt hereinspielen würde, schien ungewiss. Das sei inzwischen längst kein Thema mehr. „Das habe ich rein.“

Wie viele Stichlinderer er gebaut und verkauft hat, kann André Liebermann nicht genau sagen. Mehrere Hundert auf jeden Fall. Viele davon sind in Deutschland im Einsatz. Aber auch nach Österreich und in die Schweiz hat er welche verschickt. Und auch auf anderen Kontinenten ist das Teil schon im Einsatz. Wanderer und Kletterer hätten sich das Gerät besorgt. Eine Apotheke aus dem norddeutschen Raum habe auch geordert. Auch eine Bäckerei hat bestellt. Und sogar eine Firma, die ein batteriebetriebenes Konkurrenzprodukt herstellt, habe ganz offiziell bei ihm eingekauft, so der Gröditzer.

Nur ein Händler habe kein Interesse gezeigt, erzählt André Liebermann. Ausgerechnet jener, den er bei der Entwicklung des Stichlinderers von Anfang an im Hinterkopf hatte. „Ich wüsste nicht, wo das Ding besser hinpassen würde.“ Doch der Outdoor-Ausrüster sieht das offenbar anders. Trotz mehrfacher Anfrage habe das Unternehmen nicht reagiert, sagt André Liebermann. „Eine große Enttäuschung“, sagt Liebermann. Das lässt sich angesichts der vielen positiven Rückmeldungen aber verschmerzen.

Während die mediale Aufregung inzwischen abgeflaut ist, hat André Liebermann weiter an seiner kleinen Erfindung gefeilt. Und das ist wörtlich zu nehmen. Um das Teil noch hosentaschen-freundlicher zu machen, werden die Kanten abgerundet. Bis März will der Gröditzer jetzt Stichlinderer produzieren. Holz für mehrere Tausend Stück ist schon bestellt. Wenn die Natur im Frühjahr wieder erwacht, dürften auch viele Weichen für die Zukunft der Erfindung gestellt sein. Vielleicht kann André Liebermann die Produktion dann in andere Hände geben und selbst wieder mehr als Flieger unterwegs sein. Das ist seine eigentliche Leidenschaft – und auch sein Job. Denn Liebermann verdient sein Geld eigentlich mit Fotoaufnahmen aus der Luft.

In diesem Sommer blieb der Gröditzer öfter am Boden. Der Wirbel um den Stichlinderer forderte seinen Tribut. Doch wenn André Liebermann an Geschichten wie die von Rebecca Schreyer und ihrem kleinen Sohn denkt, weiß er, dass es sich gelohnt hat, dieses Jahr seltener abzuheben.