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Stell dir vor, es brennt…

…und keiner kommt. Ortswehren klagen zunehmend über Personalmangel. Das Problem müssen sie selbst lösen.

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© Egbert Kamprath

Von Franz Werfel

Landkreis. Das eigene Haus brennt. Es ist eine der schrecklichsten Vorstellungen, wenn Menschen darüber nachdenken, was in ihrem Leben passieren könnte. Noch schlimmer wird der Gedanke, wenn man einen Notruf absetzt – und es sehr lange dauert, bis die Feuerwehr kommt.

Nach einer aktuellen Erhebung sterben in Deutschland etwa 400 Menschen jährlich durch giftigen Rauch, der sich bei einem Brand bildet. Die meisten von ihnen sterben nachts, denn im Schlaf ist der Geruchssinn nicht aktiv. Der Mensch hält eine mit Kohlenmonoxid vergiftete Umgebung etwa 13 Minuten lang aus, reanimiert werden kann er noch nach 17 Minuten. Aus diesen Zeiten leiten sich die Fristen ab, nach denen Feuerwehrleute bei einem Brand vor Ort sein müssen. In Modellen werden die ersten vier Minuten dafür gerechnet, dass ein Brand der Rettungsleitstelle gemeldet wird und diese die Ortswehr alarmiert. Danach haben die Kameraden noch etwa neun Minuten Zeit, bis sie spätestens vor Ort sein müssen.

Laut einem unter Regie des sächsischen Innenministeriums erarbeiteten Konzept „Freiwillige Feuerwehren Sachsen 2020“ schaffen es die Wehren in der Sächsischen Schweiz und im Osterzgebirge derzeit nahezu flächendeckend, diese Neun-Minuten-Frist in besiedeltem Gebiet einzuhalten. Theoretisch.

In der Praxis häufen sich die Probleme. Ein besonders krasses Beispiel ist derzeit Hohnstein. Die freiwillige Ortswehr dort ist aufgrund mehrerer Austritte praktisch nicht mehr einsatzfähig. An einem Mittwochmittag Anfang Januar löste die Brandmeldeanlage im Hotel Ambiente Alarm aus. Doch die Feuerwehr kam nicht, weil kein Maschinist verfügbar war. Eine Viertelstunde nach dem ersten Alarm musste nachalarmiert werden, die Nachbarwehren eilten schließlich zu Hilfe. Es war zum Glück nur ein Fehlalarm.

Hohnstein steht mit dem Problem, dass vor allem unter der Woche Kameraden fehlen, nicht allein. Exemplarisch für die Nöte vieler Wehren im ländlichen Raum ist, was Heiko Wersig, der Bannewitzer Gemeindewehrleiter, sagt.

„Die Personalsituation war früher besser. Heute haben wir vielerorts modernste Feuerwehrtechnik und Ausrüstung. Aber was nützt sie uns ohne ausreichend Personal?“ Von den fünf Bannewitzer Ortswehren seien drei tagsüber nicht einsatzbereit. Und Bad Schandaus Stadtwehrleiter Kai Bigge sagte vor Kurzem zur SZ: „Unsere Mitgliederzahl ist zwar stabil. Aber je mehr Leute beruflich pendeln müssen, desto schwieriger wird es, die Tagesbereitschaft zu sichern.“

Etwa 70 Prozent aller Deutschen werden nicht von der Berufs-, sondern von der freiwilligen Feuerwehr beschützt. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gibt es in den 36 Städten und Gemeinden 188 Ortswehren – fast ausschließlich freiwillige. In ihnen sind derzeit rund 3 900 Feuerwehrleute organisiert. Das ist rund jeder 50. erwachsene Einwohner. Mitglied werden können gesunde Männer und Frauen ab 16 Jahren.

Nicht neu, aber in jüngster Zeit vermehrt zu hören, ist der Ruf der Feuerwehren nach neuen Mitgliedern. Für viel Aufmerksamkeit sorgte vor einem Jahr die Löscheimer-Aktion der Wehren in Gorknitz und Röhrsdorf bei Dohna. Sie hatten 800 Löscheimer an Haushalte verteilt, nach dem Motto: Helft euch damit doch selbst, wenn’s brennt. Die Wehr in Pretzschendorf wirbt mithilfe des Klingenberger Rathauses lautstark um Nachwuchs, der Bannewitzer Wehrleiter schlägt in einem großen SZ-Interview Alarm und in Dippoldiswalde und Umgebung fährt neuerdings ein mit einem Feuerwehrmann beklebter Bus, um auf die Ortswehr hinzuweisen.

Ältere Kameraden scheiden aus, Einwohnerzahlen fallen, es gibt mehr Pendler, die tagsüber nicht in ihrem Wohnort arbeiten, die Bereitschaft der Bevölkerung, sich dauerhaft in einem Ehrenamt zu engagieren, sinkt – unter anderem mit diesen Fakten begründet das Konzeptpapier „Freiwillige Feuerwehren Sachsen 2020“ die Schwierigkeit, Freiwillige zu finden. Trotzdem kommen die Autoren zu dem Schluss, das Modell der freiwilligen Feuerwehr sei zukunftsfähig. Warum? Unter anderem deshalb, weil eine flächendeckende Berufsfeuerwehr nicht bezahlbar wäre.

Von einer Krise des Konzepts freiwillige Feuerwehr könne man nicht sprechen, sagt auch Karsten Neumann, Kreisbrandmeister im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. „Das Problem hat in erster Linie die betreffende Gemeinde, wenn sich nicht mehr genug Bürger finden, die sich ehrenamtlich für das Gemeinwohl einsetzen“, sagt er. Denn die Gemeinden sind nach dem sächsischen Brandschutzgesetz für Aufstellung, Ausrüstung, Unterhaltung und Einsatz der Feuerwehr zuständig. Neumann geht davon aus, dass die freiwilligen Wehren eine Zukunft haben, wenn sie sich den aktuellen Anforderungen anpassen. „Sie haben sich heute zu einem komplex vernetzten System entwickelt, von dem eine Unzahl an Leistungen in immer kürzeren Reaktionszeiten erwartet wird.“

Wie können sich Ortswehren also aus diesem Dilemma befreien? Im Konzeptpapier des Innenministeriums kommt der Gewinnung des Nachwuchses eine wichtige Rolle zu. „Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wird immer wichtiger“, schreibt eine Referentin. „Die meisten Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren werden bereits in jungen Jahren über die Jugendfeuerwehren für ein ehrenamtliches Engagement im Brandschutz gewonnen.“ Auch wenn nicht alle als Erwachsene bei der Stange blieben, so sei die Jugendwehr doch die wichtigste Quelle, um neue Mitglieder zu gewinnen.

Im Landkreis rücken die Wehren nur noch in 18 Prozent aller Fälle wegen Bränden aus. Sonst werden sie wegen technischer Hilfeleistungen, etwa zu Unfällen, gerufen, oder um Tiere zu retten, Ölspuren oder Chemikalien aufzunehmen. Oder bei Fehlalarm. Nichtsdestotrotz muss die Einsatzbereitschaft gesichert sein.

Es muss ja nicht enden, wie 2008 auf der Insel Sylt. Damals wurden Einwohner, die zwischen 18 und 50 Jahren alt waren, zum Feuerwehrdienst zwangsverpflichtet. Diese Möglichkeit einer Pflichtfeuerwehr ist auch im sächsischen Brandschutzgesetz ausdrücklich vorgesehen.

Von so einer Pflichtwehr hält Kreisbrandmeister Karsten Neumann aber nichts. Er sagt: Der Einsatzwille der freiwillig dienstleistenden Kameraden sei durch nichts zu ersetzen. (mit SZ/ce)