Merken

Stasi-Major trifft DDR-Dissidenten

Gegen Schönfärberei durch einstige Stasi-Leute setzt der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde auf Dialog mit geläuterten Verantwortlichen von damals. Er will Brücken bauen.

Teilen
Folgen
NEU!
© dpa

Von Andreas Hummel

Gera. Es ist ein ungewöhnliches Zusammentreffen. Wo die DDR-Justiz einst «im Namen des Volkes» Unrecht gegen Oppositionelle sprach, diskutieren Dissidenten von einst mit einem Ex-Major der Stasi. Im einstigen Geraer Schwurgerichtssaal erinnert nur noch eine Luke hinter der Anklagebank daran, dass auch wenn die Öffentlichkeit bei solchen Prozessen meist ausgeschlossen war, die Stasi als Beobachter mit von der Partie war. Nach 30 Jahren ist der heutige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, dorthin zurückgekehrt, wo er wegen mutiger Aktionen in Jena zu 22 Monaten Haft verurteilt wurde. Sein Ziel: Er will durch die Diskussion mit dem einstigen Stasi-Mann Verantwortlichen von damals eine Brücke bauen, Reue zu zeigen und mitzuhelfen, das Unrecht aufzuarbeiten.

„Ich habe Sie damals gehasst“

«Auch Stasi-Offiziere sind Zeitzeugen», betont der 59-Jährige. Einer davon sitzt am Donnerstagabend rechts von ihm: Bernd Roth, ein ehemaliger Major der Stasi. Er arbeitete in der Kreisdienststelle Saalfeld und war am Rande beteiligt, als Jahn im Juni 1983, von der Stasi eingesperrt in ein Zugabteil, gegen seinen Willen in den Westen abgeschoben wurde. Es ist das erste Mal, dass Jahn in seiner heutigen Funktion öffentlich mit einem Ex-Stasi-Offizier diskutiert. Anlass ist das Jubiläum der Friedensgemeinschaft Jena und der Aktion «Gegenschlag» mit der die Stasi vor 30 Jahren die Jenaer Opposition zerschlug.

«Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe Sie damals gehasst», bekennt Roth und gibt in dem proppenvollen Saal Einblicke in seine damalige Gedankenwelt und die Arbeit der DDR-Staatssicherheit. In dem Apparat sei alles so arrangiert gewesen, dass keine persönliche oder emotionale Nähe zu denen, die observiert und verfolgt wurden, entsteht. Er habe nicht die Menschen gesehen, denen Unrecht zugefügt worden sei; sie seien nur eine Nummer gewesen, aus damaliger Sicht Störenfriede. Bei der Staatssicherheit habe ein «Kadavergehorsam» geherrscht. Es sei darum gegangen, zu funktionieren und Befehle auszuführen. Zwar habe es auch einige Mahner gegeben, die gesagt hätten: «Wir dürfen uns die Feinde nicht selber machen.» «Solche Denkanstöße haben sich aber nicht durchgesetzt - leider», sagt Roth.

Sicher hat es in der Vergangenheit schon Gespräche zwischen Stasi-Helfern und ihren Opfern gegeben, wie der Autor und einstige DDR-Oppositionelle Lutz Rathenow - heute Beauftragter für die Stasi-Unterlagen in Sachsen und der dritte auf dem Podium in Gera - bestätigt. Doch meist sei dieser Austausch an der Oberfläche geblieben. Er habe das Gefühl gehabt, die Stasi-Leute hätten ihn eher darüber aushorchen wollen, was er aus den Akten wisse. Ähnliches bestätigen Wortmeldungen aus dem Publikum. «Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es bei vielen Opfern bis heute Verletzungen gibt», ergänzt Jahn. «Dass wir hier so locker reden, das ist die Ausnahme. Viele können das noch nicht.»

Wunsch nach Reue und Hilfe

Die einstigen Dissidenten erwarten von den DDR-Verantwortlichen Reue und dass sie helfen, den Opfern zu helfen - etwa wenn es darum geht, das begangene Unrecht für eine Rehabilitation oder Opferrente nachzuweisen. Oder darum, Licht ins Dunkel von bis heute nicht ganz aufgeklärten Fällen zu bringen. Einer davon ist der des Dissidenten Matthias Domaschk, der 1981 in Gera in Stasi-Haft ums Leben kam. Dazu müssten sich die Stasi-Leute von einst eingestehen, dass sie Unrecht begangen und Menschenrechte verletzt haben, betont Jahn. Dann könne ein Klima entstehen, «in dem Versöhnung möglich ist». Bisher betrieben viele jedoch vor allem Rechtfertigung und Schönfärberei.

«Das Publikum hat mit seinen Reaktionen gezeigt, dass es möglich ist, mit Stasi-Offizieren als Zeitzeugen eine Veranstaltung zu machen», resümiert Jahn. «Wir haben einiges gelernt über das Denken von Stasi-Leuten damals. Das ist ein erster Schritt.» Die Zeit sei reif für einen offenen und fairen Diskurs. Jahn: «Wir werden ihnen aber keine Halbwahrheiten oder Unwahrheiten durchgehen lassen.» (dpa)