Merken

Stasi lebenslang?

Der Stuhl eines Berliner Staatssekretärs wackelt, seitdem er den Job hat – wegen MfS-Mitarbeit und dem Umgang damit.

Teilen
Folgen
© dpa

Von Peter Heimann, Berlin

In der Gehaltsliste der Stasi steht der damals 18-jährige Andrej Holm 1989 unter der Personenkennzahl 081070425460 bei der Bezirksverwaltung Berlin mit einem vorgesehenen Jahreseinkommen von 2 700 Ostmark. Mit fast 19 war der Sohn eines MfS-Mitarbeiters als Offiziersschüler zunächst in die Wach- und Sicherheitseinheit der Staatssicherheit zur sechswöchigen obligatorischen Militärausbildung eingerückt. Dann tat er in der Auswertungs- und Kontrollgruppe der Berliner Bezirksverwaltung Ausbildungsdienst. Diese Truppe, so viel kann man ganz grob festhalten, analysierte Berichte aller Art, zog Rückschlüsse, leitete Maßnahmen ab.

Einmal Stasi – immer Stasi? Der Kurzkarriere von Andrej Holm bei Mielkes Truppe könnte nun ein noch kürzeres Gastspiel in der Berliner Landesregierung folgen. Eigentlich wollte der Bau-Staatssekretär schon gehen. Doch die Linke hat ihn zum Durchhalten ged
Einmal Stasi – immer Stasi? Der Kurzkarriere von Andrej Holm bei Mielkes Truppe könnte nun ein noch kürzeres Gastspiel in der Berliner Landesregierung folgen. Eigentlich wollte der Bau-Staatssekretär schon gehen. Doch die Linke hat ihn zum Durchhalten ged © dpa

Die ziemlich kurze MfS-Karriere, die durch die friedliche Revolution in der DDR abrupt von außen beendet wurde, ehe sie so richtig losgehen konnte, ist heute nur aus einem Grund richtig heikel: Andrej Holm, inzwischen parteilos und anerkannter Soziologe, rackert als Stadtforscher und Mieter-Aktivist nicht ganz erfolglos dagegen, die Immobilienentwicklung dem freien Markt zu überlassen. So lieferte der Soziologe das Rüstzeug für Forderungen der Antigentrifizierungsbewegung. Und nun bestellte ihn die Linkspartei als Staatssekretär für Stadtentwicklung und Wohnen in die neue rot-rot-grüne Stadtregierung. Es sollte wohl ein Coup in die Richtung der Wahlklientel sein, die sich das Wohnen in etlichen Kiezen wegen der rasanten Verteuerung nicht mehr leisten kann. Und vielleicht auch ein wenig in Richtung der ganz alten Genossen. Wer weiß.

Doch die Sache ging nach hinten los. Inzwischen redet das Abgeordnetenhaus und die halbe Stadt vordringlich darüber, drucken die örtlichen Medien Beitrag um Beitrag, Stellungnahme um Stellungnahme. Nur regiert wird nicht.

Zunächst wurde und wird die frühe Vita Holms beleuchtet – gegensätzlich. Der eine Teil meint plakativ: Stasi in der Regierung geht gar nicht, egal wie erheblich die Verstrickung war. Andere verweisen auf das jugendliche Alter des Betroffenen und dass es 27 Jahre her ist. Der Historiker der Stasi-Unterlagenbehörde, Ilko-Sascha Kowalczuk, der ansonsten den Umgang Holms mit seiner eigenen Geschichte auch scharf kritisiert, meint: Holm habe mit 14 bereits seine Bereitschaft zur MfS-Laufbahn unterschrieben – „und ist damit zunächst ein Opfer des SED-Regimes“. Und: „Erst wenn man älter wird und womöglich Kinder in diesem Alter hat, weiß man, wie jung man mit 14, 16, 18 wirklich war. Entscheidungen in diesem Alter dürfen daher gar nicht lebensbestimmend sein, keine Frage!“

In den letzten Jahren ist Holm in einem Interview – und wohl auch in seinem persönlichen Umfeld – offen und selbstkritisch mit seiner Jugend umgegangen. Bei einer Veranstaltung der Robert-Havemann-Gesellschaft räumte er gerade ein: Die politische Wende habe ihn vor größerer Schuld bewahrt.

Erst am Freitag veröffentlichte seine Senatsverwaltung eine Erklärung Holms. „Ich bin mir bewusst, dass ich mit meiner als 18-Jähriger gefällten Entscheidung für eine Laufbahn beim MfS Teil eines Repressionsapparates war und damit strukturell Verantwortung für die Überwachung und Repression in der DDR übernehmen muss“, schreibt er darin. „Diese historische Schuld nehme ich auf mich und bitte insbesondere diejenigen, denen in der DDR Leid zugeführt wurde, um Verzeihung. Ich habe großen Respekt vor all jenen, die in der DDR einen unangepassten Weg gingen. Ich habe für mich aus der Wendezeit die Lehre gezogen, fortan den Mut zu finden, selbst auch kritisch und unangepasst zu sein.“

Der Anlass für diese Erklärung lässt den Stuhl von Staatssekretär Holm allerdings noch mehr wackeln als die eigentliche Geschichte. Selbst Wohlmeinende kommen ins Grübeln, weil Holm bei seinem ehemaligen Arbeitgeber, der Berliner Humboldt-Universität, die hauptamtliche Tätigkeit beim DDR-Geheimdienst verschwieg. Nach seiner Darstellung ist ihm erst durch Einblick in seine Akten vor wenigen Wochen bewusst geworden, dass er damals zu den hauptamtlichen Mitarbeitern zählte.

In einem Fragebogen hatte Holm 2005 das Kreuz an den falschen Stellen gemacht. Kowalczuk analysiert: Da er weder nachvollziehen noch glauben kann, dass Holm sich nicht genau erinnerte, dass er als Offiziersschüler hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter gewesen war, „stand er bei dem Ausfüllen von Personalfragebögen vor einem schier unlösbaren Problem: die Wahrheit sagen und den Job nicht bekommen, oder den Job bekommen und dafür lügen.“ Hauptamtliche hatten im Gegensatz zu IM bei der Einstellung im gehobenen öffentlichen Dienst in Berlin nie eine Chance.

„Doch darf dieser Weg zu einer Karriere als Regierungsmitglied führen?“, fragt nicht nur Kowalczuk. Und wäre das gerecht gegenüber jenen, die „ihre Fragebögen wahrheitsgetreu ausfüllten?“ Und den Job verloren. Die Meinungen gehen auseinander. Stasi-Auflöser Peter Neumann, der den Fragebogen mit ausgearbeitet hat, sagt: Ein 18-jähriger Offiziersanwärter wäre Anfang der 90er-Jahre „eher nicht aussortiert“ worden. Allerdings: „Schwierig ist das Thema der Lüge. Wenn aber alle Politiker, die schon mal das Wahlvolk beschummelt haben, abtreten würden, hätten wir sofortige Neuwahlen.“

Da sich der Senat drückt, muss jetzt wohl die Humboldt-Uni verwaltungsrechtlich entscheiden, wie es mit Holm weitergeht. Wie man hört, hat die Linkspartei Holm, der schon gehen wollte, zum Durchhalten gedrängt. Sie hat, so oder so, eine Menge Verantwortung auf sich genommen. Clara West, SPD-Fraktionsvize in Berlin, hat es gerade im Abgeordnetenhaus so ausgedrückt: „Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, mit was für einer öffentlichen Reaktion haben Sie eigentlich gerechnet, als Sie mit Andrej Holm jemanden zum Staatssekretär gemacht haben, der für das MfS tätig war?“