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Staatsanwalt klärt Spitzberg-Unfall

Fehlverhalten und Naturgewalt haben zum Absturz der beiden Kletterer in Oderwitz geführt. An der Stelle steht nun ein Hinweisschild, aber ein Risiko wird bleiben.

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© Matthias Weber

Von Thomas Christmann

Sie ist zum ersten Mal auf dem Weg zum Gipfel. Zwei Jungs sichern Isabell von unten ab. Zwischen sieben und 13 Jahren sind die 19 Teilnehmer des Klettercamps vom Oberlausitzer Kreissportbund, die nacheinander den Felsen des Oderwitzer Spitzbergs in verschiedenen Routen und Schwierigkeitsgraden erklimmen. Zuvor haben ihnen zwei Experten des Deutschen Alpenvereins die Techniken und Kommandos beigebracht. So übten die Mädchen und Jungen den ersten Tag in der Halle, bevor sie sich am zweiten in den Kinderklettergarten begaben. Für einige sei das eine Überwindung gewesen, sagt Übungsleiter Jörg Mattheus. Schließlich gelten in der Natur andere Gegebenheiten.

Volker Heinrich hat an der Unfallstelle nun ein Schild angebracht. Das soll Kletterer für die natürlichen Gegebenheiten sensibilisieren.
Volker Heinrich hat an der Unfallstelle nun ein Schild angebracht. Das soll Kletterer für die natürlichen Gegebenheiten sensibilisieren. © Matthias Weber

Diese sind zum Ostermontag zwei Kletterern an der Mittelwand des Spitzbergs zum Verhängnis geworden, die durch eine herausgebrochene Gesteinsplatte abstürzten. Ein Kameramann des MDR filmte die Situation zufällig, bei dem ein 36-Jähriger ums Leben, und eine 41-Jährige mit lebensbedrohlichen Verletzungen ins Krankenhaus kam. Sebastian Matthieu von der Staatsanwaltschaft Görlitz hat wegen des unnatürlichen Todes ermitteln müssen, inwieweit ein Fremdverschulden vorliegt. Das kann er nun ausschließen. Der Absturz sei auf eine Kombination von bedauerlichem Fehlverhalten und den recht schwer zu kalkulierbaren Naturgewalten zurückzuführen, sagt der Oberstaatsanwalt.

Demnach nutzten die Kletterer einen Umlenkhaken als Standplatz. Eigentlich wird dort nur das Seil eingehängt und der Partner sichert den Kletternden vom Boden aus. In dem Fall hingen beide mit ihrem vollen Körpergewicht daran, stützten sich mit den Beinen vom Felsen ab. „Als wenn man den Haken aus der Wand zerren will“, schildert Sebastian Matthieu die Situation. So brach die gesamte Gesteinsplatte heraus, die durch die Verwitterung innerlich Risse durchzogen.

Ein Fremdverschulden ist laut Sebastian Matthieu auch deshalb auszuschließen, weil das Klettergebiet keinen Betreiber hat. Volker Heinrich ist lediglich Eigentümer des Grundstücks und Vorsitzender vom Sportkletterverein Oderwitzer Spitzberg. Dieser legt zwar die Routen an und überprüft diese, aber freiwillig. Das teilte der Oberstaatsanwalt auch den Angehörigen des Verstorbenen mit, die über ihren Anwalt eine Verantwortlichkeit prüfen lassen wollten. Auch die Strafanzeige des Ehemanns der verunglückten Frau wegen fahrlässiger Körperverletzung ist inzwischen eingestellt. „Das Klettern in der Natur erfolgt auf eigene Gefahr“, sagt Sebastian Matthieu. Dabei müssen entsprechende Risiken einbezogen werden.

Volker Heinrich ist beruhigt, dass der Oberstaatsanwalt die Situation so beurteilt. Drei tödliche Unfälle hat er nun schon am Spitzberg verzeichnen müssen. Diese belasten ihn sehr, der 71-Jährige träumt nach seiner Aussage sogar noch nachts davon. Erst kürzlich konnte er wieder zwei tschechische Kletterer beobachten, die fast denselben Fehler wie die Abgestürzten am Ostermontag begangen hätten. Den Leuten fehle die Sensibilität und Demut für die Natur, erklärt der Vorsitzende. Diese würden aus der Kletterhalle kommen und dort so weiter machen. Laut Volker Heinrich werden zwar jedes Frühjahr alle rund 1 000 Sicherungselemente der über 100 Routen am Spitzberg grundlegend überprüft, aber das Vulkangestein bleibt eine Unbekannte. Durch Eruptions- und Sprengfugen kann danach Wasser eindringen, Eis und Bewuchs die Felsstruktur zerstören. Trotz Klopfen lassen sich Hohlräume nach Aussage des Vorsitzenden auch nicht immer erkennen – im Fall der herausgebrochenen Gesteinsplatte wäre diese schon zu dick gewesen, um etwas zu hören. Dennoch will der Sächsische Bergsteigerbund nun helfen und einen Antrag beim Deutschen Alpenverein stellen, um zumindest finanzielle Mittel für die jährliche Sanierung des Oderwitzer Klettergebietes zu erhalten.

Volker Heinrich hat inzwischen ein Schild an der Mittelwand hingehangen. „Bedenke, draußen ist es anders“, steht darauf geschrieben. Und weil das nicht zu reichen scheint, will Volker Heinrich eine weitere Warntafel im Frühjahr aufstellen. Diesmal in englischer Sprache. Darauf soll auf die Gefahr eines Felsausbruchs und die Helmpflicht hingewiesen werden. Durchsetzen könne er das nicht, sagt der 71-Jährige. Aber nach seiner Erfahrung tragen gerade einmal 20 Prozent aller Kletterer am Spitzberg einen Helm. Beim Rad- und Skifahren soll sich dieser längst durchgesetzt haben. Mit Helm hätten auch Kletterer eine Chance zu überleben, sagt er. Kinder wie Isabell tragen ihn. Je zeitiger sie mit dem Klettern beginnen, desto schneller lernen die Mädchen und Jungen neben Konzentration und Kameradschaft die Demut vor der Natur. „Ohne Arroganz.“