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Sprunghaft bis überragend

Philipp Weber könnte der nächste deutsche Handballstar sein, doch noch hakt es – wie im Spiel seiner Mannschaft.

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© Fotostand

Von Tino Meyer, Sveti Martin

Ortswechsel. Weg aus dem grauen, eintönigen Zagreb, raus ins Grüne. „Man merkt die Aufbruchstimmung, der Tapetenwechsel tut gut“, sagt Philipp Weber am Donnerstagvormittag vor der Abfahrt des Busses. Mit dem Umzug in das beschaulich-abgelegene Sveti Martin an der slowenisch-ungarischen Grenze, der mit dem Einzug in die Hauptrunde dieser Europameisterschaft verbunden ist, verknüpft nicht nur er einen Neuanfang.

Ab sofort soll und kann alles nur besser werden, darauf haben sich die deutschen Handballer eingeschworen in den beiden Teambesprechungen noch am Mittwochabend nach dem Spiel – eine mit dem Trainer, eine ohne. Es seien keine Krisensitzungen gewesen nach dem wieder nicht zufriedenstellenden 25:25 gegen Mazedonien, betonen alle Beteiligten, sondern eher Kleinigkeiten besprochen worden. Und auch dieser letzte Angriff war natürlich noch mal ein Thema.

Weber braucht man am Tag danach nur kurz darauf anzusprechen, dann legt er ohne Vorrede los. „Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe. Das geht ganz klar auf meine Kappe“, sagt der 25-Jährige. Dass er sechs Sekunden vor Schluss den Pass vom linken Rückraum zum Rechtsaußen an den Kreis spielt, sei nicht abgesprochen gewesen, aber eine der vom Bundestrainer aufgezeigten drei, vier Möglichkeiten. „In dem Moment habe ich das so empfunden, aber es war vielleicht nicht die richtige Entscheidung“, sagt Weber, und er weiß: „Vielleicht“ kann er streichen. Der Pass erreicht Patrick Groetzki, nur steht der nicht so frei wie erhofft und wird noch vorm Wurf abgedrängt. Die große Chance ist dahin.

Dabei hätten sie den Sieg dringend benötigt, auch mit Blick auf die Tabelle, mehr aber fürs eigene Selbstvertrauen. Vor allem im Angriff hakt es gewaltig beim Europameister, die Leichtigkeit und das Selbstverständnis sind erst einmal weg.

Das gilt auch für den Spielmacher Weber – und auch wieder nicht. „Ich muss die Mannschaft führen, soll dem Spiel Struktur geben. Doch ich kann ansagen, was ich will. Es muss mit Leidenschaft umgesetzt werden“, sagt der gebürtige Schönebecker.

Klare Ansagen sind das für einen, der erst elf Länderspiele bestritten hat und gegen Mazedonien selbst nicht den besten Tag erwischt. Fast schon selbstverständlich gehört Weber zur Anfangsformation, lässt dann aber zwei Chancen ungenutzt, kann seine Mitspieler nicht wirklich gut in Szene setzen und muss nach wenigen Minuten schon auf der Bank Platz nehmen.

Erst in der entscheidenden Phase darf er wieder aufs Spielfeld, und er stellt sich der Verantwortung. Weber erzielt zwei wichtige Tore, scheitert dann aber beim dritten Versuch, der die Mazedonier in Vorteil kommen lässt. Schließlich der letzte Pass, den der deutsche Verbandsvize Bob Hanning als „die allerschlechteste Entscheidung“ bezeichnet. Weber würde ihn trotzdem wieder spielen, weil das intuitiv in dem Moment für ihn das einzig Richtige war. „Ich werde daraus lernen“, sagt Weber, der – wie Hanning ebenfalls betont – auch EM-Debütant ist.

Doch hinter dieser Unerfahrenheit versteckt sich Weber nicht, im Gegenteil. „Ich merke, dass ich das Vertrauen des Bundestrainers habe“, erklärt er. Das macht stark auch in kritischen Situationen. Weber als weiteren Zögling von Christian Prokop zu bezeichnen, den der nach gemeinsamen Jahren in Magdeburg und dann beim SC DHfK Leipzig in die Nationalmannschaft gebracht hat, ist aber grundlegend falsch.

Die Luftveränderung verändert ihn

„Ich kenne ihn in- und auswendig, und er mich. Was nicht immer von Vorteil ist“, sagt Weber und schiebt rasch nach: „Für ihn aber auch nicht.“

In der Vergangenheit haben beide ihre Schwierigkeiten miteinander gehabt: auf der einen Seite der Perfektionist Prokop, auf der anderen der junge Weber, dessen Vertrag sie beim SC DHfK zur Überraschung aller Außenstehenden nach der ersten Bundesliga-Saison 2016 nicht verlängert haben. Er brauche Luftveränderung, lautet die Begründung damals.

Und selbst die starke Rückrunde hat die Leipziger Verantwortlichen um Prokop nicht umstimmen können. „Die Nachricht war für mich schockierend. Wer weiß, vielleicht war die Entscheidung aber im Nachhinein für mich persönlich gut“, sagt er.

So ist es. Dieser Ortswechsel hat Weber reifen lassen. Bei der HSG Wetzlar entwickelt er sich endgültig zum Führungsspieler und wird Bundesliga-Torschützenkönig, forciert aber bereits nach einem halben Jahr die Rückkehr nach Leipzig. Dass diese unerwartete Nachricht mit der ebenso überraschenden Beförderung von Prokop zum Bundestrainer zusammenfällt, mag Zufall sein – muss aber nicht. Offiziell führt Weber, der das Image des Hallodri abgelegt hat, private Gründe an. Seine Freundin Anne Hubinger, ebenfalls Handballerin, spielte für den HC Leipzig.

Der Begriff Shootingstar, was wörtlich übersetzt Sternschnuppe bedeutet, aber im Deutschen eher mit einem überragenden Aufsteiger gleichgesetzt wird, trifft auf Weber allemal zu. „Ich versuche nur, mein Ding zu machen und der Mannschaft so zu helfen“, erklärt er und betont den Teamgedanken: „Was nützt es, wenn einer glänzt, aber kein Erfolg da ist?“

Das mangelnde Selbstvertrauen im Angriff könne man daher immer wieder thematisieren. „Gewinnen ist die beste teambildende Maßnahme“, sagt Weber, am besten gleich am Freitag gegen Tschechien. In der jetzigen Situation helfen ohnehin nur Siege – damit der nächste Ortswechsel am nächsten Donnerstag zurück in die Hauptstadt führt, aber nicht zum Flughafen von Zagreb, sondern zum EM-Halbfinale.

TV-Tipp: Das ZDF überträgt das erste Hauptrundenspiel gegen Tschechien ab 18.15 Uhr live.