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Sportler Nummer 609

Florian Marr aus Berggießhübel hat das Down-Syndrom. Am Sonnabend fährt er zu einem Wettkampf, bei dem es keine Verlierer gibt.

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© Daniel Schäfer

Von Heike Sabel

Berggießhübel. Florian reibt sich die Hände und lacht. Er freut sich. Auf die Reise, die anderen, den Sport. Am Sonnabend fährt er mit seinen Eltern nach Frankfurt am Main zu einem Sportfest mit über 600 Sportlern. Florian wird die Startnummer 609 tragen. Er war schon mehrfach bei Sportfesten , bei so einem großen aber noch nicht. Florian macht gern und viel Sport. Laufen, Radfahren, Schwimmen, Fußball spielen, Reiten. Am Sonnabend in Frankfurt wird keiner komisch nach Florian gucken. Wenn er im Bus fährt oder in einem Geschäft steht, passiert das manchmal schon. Florian hat das Down-Syndrom.

Ihn selbst stört es nicht. Er ist so geboren und lebt seit 30 Jahren damit. Seine Eltern sagen Flori zu ihm und er zu seinem Vater „Chef“. Für sie ist er einfach ihr jüngster Sohn, der auf die Menschen zugeht und bei der zweiten Stadionrunde etwas Motivation braucht. Sport war ihr Mittel gegen den Bauchansatz von Flori. Ihm fehlt nämlich, wie oft bei Menschen mit Down-Syndrom, die Essbremse. „Jetzt sieht der Flori gut aus“, sagt Florian über sich selbst. Der Sport macht ihm Spaß, auch weil es nicht um Rekorde und Siege geht. Beim Fahrradfahren mit den Eltern im Urlaub dürfen es schon mal 50 Kilometer am Tag sein. Und beim Schwimmen schwimmt Flori seinem Vater schon mal davon.

Schritte ins Leben

Der Sport ist wichtig für den jungen Mann. Er gibt ihm Selbstvertrauen, von dem er eigentlich schon gut hat, sagt seine Mutter Bärbel Marr. Auch das Wohnen im Otti-Hof in Graupa ist ein Teil in dem Puzzle. 2006 kam Florian nach dem Abschluss der Schule hierher. Hier lebt er mit anderen, denen es ähnlich geht. Es ist eine offene Atmosphäre, sie arbeiten in der hundert Meter entfernten Werkstatt, haben ihre Interessen und Freunde. Florian hat hier eine Freundin und würde gern in einem Einzelzimmer wohnen. Das ist der nächste Schritt seiner Selbstständigkeit. Der Otti-Hof ist sein Zuhause, zu den Eltern nach Berggießhübel fährt er alle zwei Wochen oder auch mal zwischendurch, und natürlich geht es gemeinsam in den Urlaub.

Für seine Eltern war wichtig, dass Florian Kontakte hat. Zu Hause bei ihnen wäre er allein, weil er dort keine jungen Leute findet, die mit ihm gemeinsam ihre Freizeit verbringen würden. Inklusion sei das im Otti-Hof aber eben auch nicht, sagt Bärbel Marr. Die findet statt oder eben nicht, wenn Florian raus ins Leben geht, mit dem Bus fährt. Drei bis vier Mal im Jahr muss er da unschöne Situationen erleben. Mal wird er ausgelacht, mal komisch angesehen. Dinge, für die Menschen wie er sehr empfindlich sind. Genauso wie für die eigenen Fehler. Einmal war er eine Stunde zu zeitig losgefahren. Er rief dann seine Mutter an und sagte: „Ich habe Mist gebaut.“

Florian hat so viele Talente, die den Menschen zugutekommen könnten, sagen seine Eltern. Wenn er im Pflegeheim oder Krankenhaus von Zimmer zu Zimmer geht, würde er viel Freude bringen zum Beispiel. Er könnte im Kindergarten, einem Geschäft, einem Restaurant arbeiten.

Menschen wie Florian wird zu wenig zugetraut. Sie einzubeziehen, das wäre wirklich Inklusion. Er würde mit seinen Fähigkeiten Teil der Gesellschaft sein, ihr etwas geben. Bis die so weit ist, wird es wohl noch etwas dauern, sagen Bärbel und Ralph-Peter Marr. Die Teilnahme am Sportwettbewerb am Sonnabend in Frankfurt und im September dann wieder in Magdeburg sind für sie Schritte dahin.

Am Sonnabend in Frankfurt gibt es keine Verlierer, alle gewinnen – eine Medaille und vielleicht auch wieder einen Blumentopf. Und sie alle, Behinderte und Angehörige, machen eine Erfahrung: Flori und die anderen sind Menschen, die uns bereichern. Zum Abschied winkt Flori, sagt Tschüss und „Mach’s gut.“

Du auch, Florian.