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Spitze Fingernägel

Zwei junge Frauen schwänzen ihren Prozess und bekommen daher nun Strafbefehle.

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Von Alexander Schneider

Das war mal wieder ein ungewöhnlicher Prozess am Schöffengericht des Vorsitzenden Richters Roland Wirlitsch. Zwei Frauen sollten sich am Amtsgericht Dresden unter anderem wegen räuberischen Diebstahls verantworten. Doch die Sache hatte zwei Haken. Erstens: Auf den Bildern der Überwachungskamera war nach Angaben des Gerichts eher ein Trickdiebstahl und eine hässliche Körperverletzung erkennbar – kein räuberischer Übergriff. Die Frauen können also von Glück sagen, dass es Überwachungskameras gibt. Die haben ihnen wohl eine Freiheitsstrafe erspart. Und zweitens: Von den Damen fehlte trotz der für sie günstigen Entwicklung auch nach der obligatorischen Warte-Viertelstunde jede Spur. Sie schwänzten ihren Prozess – während ihre Verteidiger artig auf der Anklagebank warteten und zwei Zeugen, die Opfer der Angeklagten, pünktlich erschienen waren. Das mag nicht gerecht sein, ist aber der gelebte Alltag eines Amtsgerichts.

Die Frauen sind Mitte 20 und leben in Übergangswohnheimen. In Ermangelung ihrer Anwesenheit wurde keine Anklage verlesen. Das Gericht verzog sich gleich mit den anderen Prozessbeteiligten in ein Hinterzimmer, um sich das Video anzusehen. Hätte das schon vorher ein Ermittler gemacht, wäre der Fall wohl nicht vor einem Schöffengericht gelandet.

Das Video zeigt laut Wirlitsch die Frauen im Dezember 2016 in einem Supermarkt in der Hamburger Straße. Dort soll die eine ihrer Freundin drei Schachteln Zigaretten von hinten in die Kapuze ihrer Jacke gesteckt haben – unbemerkt. Nur der Ladendetektivin war die Sache aufgefallen. Als sie dann die Diebin an der Kasse aufhalten will, zerkratzt die Angeklagte ihr unmittelbar das Gesicht mit den Fingernägeln beider Hände. „Ich habe so etwas in 20 Jahren nicht erlebt“, sagte die 65-jährige Detektivin später. Sie habe geblutet. Noch heute sind Spuren auf der Wange sichtbar.

Rechtlich sei das eine vorsätzliche Körperverletzung, so Wirlitsch, kein Diebstahl – und schon gar kein räuberischer. Die Frau werde daher per Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 300 Euro verurteilt. Nur die Komplizin müsse sich für den Zigarettenklau verantworten. Sie sei auch im September in der Lübecker Straße betrunken vom Rad gestürzt, habe dabei einen VW Up verbeult und sich anschließend aus dem Staub gemacht. Daher wird sie nun einen Strafbefehl über 500 Euro erhalten – wegen Diebstahls, Gefährdung des Straßenverkehrs und Unfallflucht. Wenn die Angeklagten ihre Strafe nicht akzeptieren, können sie dagegen Einspruch einlegen – dann jedoch müssen sie vor Gericht erscheinen.