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Spitze!

Seit 40 Jahren klöppelt Anna Rühle, beherrscht ebenso viele Techniken der alten Volkskunst und gibt sie weiter.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Das Wort klappern ist zu laut. Klimpern zu hell im Ton. Wenn Anna Rühles Klöppel in ihren Händen wispern, klingt es nach Ruhe. Schneller als das Auge folgen kann, lässt die 81-Jährige zwei Rundhölzer umeinander kreisen. Dabei zählt sie: „Eins, zwei, drei, vier. So geht das!“

© Sven Ellger

Lieber nennt sie sich Anni. Auch Freunde rufen die Klöpplerin so und die vielen Frauen, die regelmäßig in ihren Klöppelzirkel kommen. Zweimal im Monat sitzen im Johannstädter Kulturtreff fast 40 Frauen zusammen, um drei Stunden lang an feinsten Spitzen zu arbeiten. Zwischen 18 und 91 Jahren sind sie alt. „Eine macht sich sogar den weiten Weg aus Riesa bis nach Dresden“, sagt die Kursleiterin, die in ihrem Kunsthandwerk als Expertin gilt. Seit 40 Jahren fertigt sie aus Leinen-, Seiden- oder Baumwollgarn Gespinste, die Hälse und Hauben schmücken oder Bäume zieren. So wie gerade einen der insgesamt 35 Weihnachtsbäume im Volkskunstmuseum. Zusammen mit ihren Zirkel-Frauen hat Anni Rühle für die Ausstellung „Weihnachten im Jägerhof“, die noch bis Ende Januar zu sehen ist, 104 Sterne geklöppelt.

Meisterin der Muster

Als Ungarndeutsche kam Anni Rühle in Kindertagen nach Deutschland. Später arbeitete sie als Dolmetscherin für Ungarisch in einem Baukombinat. „Aber rechnen kann ich nur auf Ungarisch“, sagt sie. Handarbeiten haben sie schon als kleines Mädchen interessiert, und als sie im Volkseigenen Betrieb die Möglichkeit bekam, nebenberuflich eine Ausbildung zur sogenannten Zirkelleiterin für textiles Volksschaffen zu absolvieren, ließ sie sich nicht bitten. „In großen Betrieben wurden ja alle möglichen Zirkel abgehalten. Man konnte sie auch ohne Abschluss leiten, aber da gab es weniger Geld dafür.“ So lernte Anni Rühle alle denkbaren Handarbeiten und verliebte sich in die wohl aufwendigste. Rund 100 verschiedene Klöppeltechniken gebe es, erklärt sie, 40 davon beherrscht sie und kann sie unterrichten. „Ich bringe immer wieder etwas Neues mit in unsere Zirkelrunde, so wird es nie langweilig.“ Manchmal schimpfen die Frauen, weil es zu schwierig ist. Aber das stört Anni Rühle nicht. Sie ist schließlich Lehrerin.

Insgesamt leitete sie vier Textilzirkel. „Ich habe alles gemacht, außer Holz- und Schmiedearbeiten.“ Der Andrang in der DDR war groß. Für ihren neuen Klöppelkurs bestellte sie damals bei einem Drechselmeister 3 000 Klöppel. Das sind die spindelförmigen Spulen aus Holz, auf die das Garn zunächst aufgewickelt wird. Während des Klöppelns verbraucht die Kunsthandwerkerin den besonders festen Klöppelzwirn für all die Verzwirbelungen, Verkreuzungen, Verknüpfungen und Verschlingungen, die das filigrane Gewirk ergeben. Dabei hält sie sich streng an eine Mustervorlage.

Klöppelbrief heißt die. Anni Rühle ist eine der wenigen, die solche Muster exakt mathematisch und geometrisch berechnet anfertigen können. Früher entwickelte sie welche für Zeitschriften. Auf ihrem mit Sägespänen fest gestopften Klöppelsack halten Stecknadeln eine papierene Vorlage fest. Von der Sternform weicht ihr Spitzenwerk nicht ab. „Meinen Klöppelsack habe ich als junge Frau von meiner damaligen Wirtin bekommen“, erzählt sie. Die habe ihn wiederum aus dem Erzgebirge, wo das Klöppeln eine lange Tradition hat. Bald 100 Jahre alt ist das Utensil und tut noch guten Dienst. Das anstrengendste Stück, das Anni Rühle je darauf geklöppelt hat, ist die Borte für eine Haube – 170 Zentimeter lang und zehn Zentimeter breit. Zwei Jahre hat sie daran gearbeitet. Für die Rekonstruktion eines Prunkkleides der Rüstkammer klöppelte sie eine Nachbildung, die den Besuchern die Art der historischen Spitze veranschaulichen soll. Sogar ein Buch über das Klöppeln hat sie geschrieben und sich darin ganz der ungarischen Hunniaspitze gewidmet. Sie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden und verbindet unzählige Einzelmotive zu einem Muster.

„Klöppeln hat etwas Meditatives“, sagt Anni Rühle. Über die Arbeit gebeugt fällt das feine graue Haar über ihr gutes Gesicht. Die Klöppel kreisen wie von selbst und fangen die Zeit im hauchfeinen Gespinst.

Klöppeln im Johannstädter Kulturtreff; 1. und 3. Montag im Montag, 14 bis 17 Uhr; Anmeldung: 4414260