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Spielend Unternehmer

Zwei Männer beleben abseits von Gameboy und Plastikmännchen Wurf- und Fangspielzeuge aus regionaler Produktion.

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© Sebastian Willnow

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Diese Geschichte beginnt abends in einem gefährlich klingenden Szeneclub in Madrid. Tony Ramenda, ein junger Schlagzeuger aus Ostsachsen, tritt im Oktober 2009 mit seiner Band im „La Boca del Lobo“ auf, in der „Höhle des Löwen“. Cafea Ticaya spielen mediterranen Jazz und Funk, die Stimmung ist gut. Nach dem Konzert will ein junger Mexikaner aus dem Publikum eine CD der Chemnitzer Musiker mitnehmen, hat aber kein Geld dafür. Zum Tausch bietet er sein traditionelles mexikanisches Kugelfangspiel an, das Balero: Ein handlicher bunter Holzstab, daran ein Bändchen mit einer Kugel mit einem Loch in der Mitte. Ein Geschicklichkeitstest. Ziel ist es, die Kugel auf die Stabspitze fliegen zu lassen. Tony Ramenda stimmt zu. „Ich bin ein Spielkind“, sagt er. „Aber das war auch ein Schlüsselmoment für uns.“

Kaum sieben Jahre später führen Tony Ramenda und sein Kompagnon Matthias Meister aus München ihre kleine feine Firma für traditionelle Wurf- und Fangspielzeuge aus ökologischer und regionaler Produktion. „Tictoys“ sitzt heute in einer alten Fabrik in Leipzig und führt mittlerweile vier unterschiedliche Spiele im Sortiment. Gerade schaffte das Start-up erstmals einen sechsstelligen Jahresumsatz und wächst beständig. Seit vorigem Jahr können die beiden 31-Jährigen von ihrem Unternehmen leben. „Das Zittern hat langsam ein Ende“, sagt Familienvater Ramenda. Nun planen sie die nächsten Schritte.

Den Grundstein für den Erfolg legte das Balero aus Madrid. Es ist ein viel benutztes Spielzeug in der Chemnitzer WG-Küche von Ramenda und Meister, es wird der Renner auf einer Hippie-Faschingsparty. Im Juni 2010 schnitzt Tony seinem Mitbewohner einen Nachbau. Die Idee für eine eigene Serie nimmt Gestalt an. Im März 2011 bestellen sie die ersten 1 000 Stück, die sie „Ticayos“ nennen. Gestaltet wird das Modell vom Spielzeug-Designer Steffen Kaiser in Bischofswerda, Ramendas Heimstadt. Griffe, Zapfen und Kugeln fertigt der Seiffener Drechsler Mirko Reichel. Das Duo möchte keine fragwürdigen Importe aus Asien, sondern Produkte aus der Region. „Wir wollen die sozialen und ökologischen Bedingungen mit unserem Gewissen vereinbaren können“, sagt Ramenda. Die Fäden kommen aus dem Vogtland, die Faltschachteln aus Chemnitz. Die ersten zwei Paletten holen sie noch mit dem Auto in Seiffen ab und lagern sie im Proberaum der Band ein. Freunde helfen bei Kaffee und Bier, die Einzelstücke zusammenzusetzen.

„Wir sind da sehr blauäugig rangegangen“, sagt Ramenda. Kein Wunder. Er ist von Beruf Logopäde, Meister studierte damals noch Geografie an der TU Chemnitz. Firmengründer war nicht ihr erstes Berufsziel. Doch nun ziehen sie über Märkte und Feste, haben bald die ersten 1 000 Ticayos abgesetzt und bestellen nach. Mittlerweile sind etwa 15 000 verkauft, anfangs für 20 Euro, heute für noch 17,90 Euro. Beim Videokanal Youtube gibt es bereits reihenweise Filme von Jonglier-Freaks, die ihr Können mit dem Ticayo zeigen. „Wir haben entdeckt, dass schönes Spielzeug die Menschen anspricht, und haben unsere Nische gefunden“, sagt Meister.

Meister Zufall spielt mit

Der nächste Zufall trifft sie auf der Spielwarenmesse in Nürnberg. Im Spielzeugmuseum entdecken sie ein Reifenspiel aus dem 17. Jahrhundert. Die Geburtsstunde für ihr „Tualoop“. Mit zwei Handstäben, die rasch gleichmäßig auseinandergezogen werden, wird ein stabiler, flexibler Wurfring zum Mitspieler geschleudert, der ihn wieder auffangen muss. Die Holzstäbe aus nachhaltiger Forstwirtschaft lassen sie heute im bayrischen Wald produzieren. Der markante rote Ring besteht aus einem mit schwäbischen Experten kreierten Bio-Werkstoff aus Glukose, Harzen und Holzfasern und wird beim Automobilzulieferer GEK in Oelsnitz gefertigt. Er schwebt, springt und rollt wie ein Ball. Nur die Baumwolltasche kommt von einem zertifizierten Lieferanten aus Indien. „Wir wollten ein Öko-Spielzeug für den Park, das uns selbst Spaß macht“, sagt Meister. Tausende Kunden hätten es inzwischen auch.

Den richtigen Clou landen die Wahl-Leipziger schließlich mit einer Spaßidee: Einen Mini-Bumerang aus festem Papier, mit dem Kinder in der Wohnung spielen können. So entsteht „Myfibo“. Die Oberflächen werden mit schwarz-weißen Motiven zum Ausmalen in Leipzig bedruckt, vier Bumerangs kosten fünf Euro. Das Produkt hebt Anfang 2015 buchstäblich ab. Seither sind Zigtausend produziert und in alle Welt verschickt worden, auch ins Heimatland des Wurfgeräts Australien. Für die Bumerang-Weltmeisterschaften in Kiel wird „Myfibo“ sogar als Werbeträger eingesetzt. Und Anfang dieses Jahres kam noch ein Frisbee aus Karton dazu.

Zusammen machen die Papiergleiter etwa die Hälfte des Tictoys-Umsatzes aus. Sie helfen, das Geschäft mit dem Holzspielzeug am Laufen zu halten. Derweil, erzählt Ramenda, frage die Branche schon nach neuen Kreationen. Und sie sollen kommen. 2017 und 2018 sind die nächsten Bewegungsspiele aus Naturmaterialien geplant. Details sind noch ein Geheimnis. Klar ist: Schulden wollen die beiden Produktentwickler auch künftig nicht machen. „Wir haben bisher nie rote Zahlen geschrieben“, sagt Ramenda. „Das soll auch so bleiben.“