Merken

Spannungen und schlechte Stimmung

Die Ukraine-Krise hat die Welt in Unordnung gebracht. Die EU ringt mit sich selbst um Sanktionen gegen Russland. Auch die Nato sucht nach einer Antwort. Der Kreml fühlt sich vom Westen unverstanden. Wo führt das noch hin?

Teilen
Folgen
© dpa

Von Dieter Ebeling

Brüssel. „Niemand möchte zum Europa des Kalten Krieges zurück“, sagt Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen derzeit überall, wo man ihm zuhört. „Wir beginnen hier keinen neuen Kalten Krieg“, versicherte auch US-Präsident Barack Obama in Brüssel. Das war im März, als Russland gerade die zur Ukraine gehörende Krim annektiert hatte. „Ein neuer Kalter Krieg wird nicht eintreten“, versprach der russische Präsident Wladimir Putin im Mai.

Mittlerweile hat Putin zeitweilig rund 40.000 Soldaten an den Grenzen zur Ukraine stationiert. Allem Anschein nach erhielten die dortigen Separatisten schwere Waffen aus Russland. Zudem wurde ein malaysisches Flugzeug über dem Konfliktgebiet abgeschossen, nach Ansicht westlicher Regierungen vermutlich von den Separatisten.

Eigentlich ist Russland doch Partner von EU und Nato

Die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland sind so schlecht und krisenhaft angespannt wie nie zuvor in den 25 Jahren seit Ende des Kalten Krieges. Zwischen 1989 und 1991 war die Sowjetunion nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zerbröselt, mindestens 25 Millionen Russen lebten plötzlich in anderen souveränen Staaten - und Russland wurde vom einstigen Gegner zu einem Partner von EU und Nato.

Die Annexion der Krim durch nur notdürftig getarnte russische Truppen und die unverhohlene Destabilisierung der Ukraine durch prorussische Separatisten sind die Höhepunkte einer stetigen Entfremdung. Es knirscht zwischen Putins neuem selbstbewussten und stolzen Russland und dem von EU und Nato repräsentierten Westen. „Russland hat sich selbst zu einer revisionistischen Macht erklärt, unzufrieden und bereit, den nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges etablierten politischen und rechtlichen Konsens zu brechen“, sagt Polens Außenminister Radoslaw Sikorski.

Sikorski, dessen Familie vor den Kommunisten flüchtete und der in Großbritannien aufwuchs, ist einer der Wortführer jener Staaten, die Russland fürchten. Es geht um schlimme Erfahrungen in der Vergangenheit, gemeinsame Grenzen und auch russische Minderheiten wie beispielsweise in Lettland, einem Mitglied von EU und Nato. Ebenso wie die baltischen Staaten fordert Sikorski eine Rückkehr der militärischen Abschreckung: Er dringt darauf, dass die Nato starke Bodentruppen in ihren östlichen Mitgliedsstaaten stationiert. „Als erstes sollten wir uns darüber klar werden, wie es um die Sicherheit in Europa bestellt ist und die postmoderne Illusion aufgeben, dass ein Konflikt undenkbar ist.“

Nato: Russland wieder in Sicherheitsgemeinschaft integrieren

Über die richtige Antwort auf die von einer breiten russischen Öffentlichkeit unterstützte Politik Putins gibt es aber durchaus verschiedene Ansichten. Sie haben auch mit unterschiedlichen Deutungen russischer Absichten zu tun. Sowohl Nato als auch EU sind sich aber im Wesentlichen einig darüber, dass auf Dauer Russland wieder ein Partner in bilateralen und globalen Sicherheitsfragen werden muss. „Das mittel- und langfristige Ziel deutscher Nato-Politik muss sein, Russland wieder in die euro-atlantische Sicherheitsgemeinschaft zu integrieren“, schreibt Markus Kaim von der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

„Das Klima ist im Moment nicht gut - nicht, weil die Nato das so möchte, sondern wegen Russlands illegaler Aggression gegen die Ukraine“, meint der scheidende Nato-Chef Rasmussen. Aus russischer Sicht sieht das ganz anders aus.

Moskau wirft der Nato vor, seit dem Ende des Kalten Krieges Versprechen nicht eingehalten haben. Beispielsweise eine deutsche Zusage, die Nato nicht nach Osten zu erweitern - deren Existenz von der Nato bestritten wird. Die Nato und die EU hätten die Unabhängigkeit des Kosovos unterstützt und könnten sich daher nicht über ähnliche Unabhängigkeitswünsche auf der Krim und in der Ostukraine beschweren, argumentiert Moskau. Zudem habe die Nato mit dem Versprechen einer Mitgliedschaft für die Ukraine und Georgien sowie mit dem angekündigten Aufbau einer Raketenabwehr ein antirussisches, geopolitisches Gesamtkonzept verfolgt.

Derzeit ist Ende der Konfrontation nicht in Sicht

Das Vertrauen ging beiden Seiten verloren - und die große Frage ist, ob und wie es wiederhergestellt werden kann. Derzeit ist ein Ende der Konfrontation nicht in Sicht. Die Europäische Union tut sich wegen sehr unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen und politischer Einschätzungen schwer mit schärferen Sanktionen gegen Moskau.

Die Franzosen fürchten um die Rüstungsaufträge der russischen Streitkräfte, die Briten wollen an ihrem Finanzplatz London nicht die Oligarchen verlieren und Deutschland sorgt sich um seine milliardenschweren Exporte ins Riesenreich Russland. Für die südeuropäischen Länder Italien oder Spanien wiederum ist Russland ein weit entfernt liegendes Problem.

Die europäische Vielstimmigkeit enttäuscht die USA, deren wirtschaftliche Interessen in Russland minimal sind. Und die Nato muss Anfang September bei ihrem Gipfel in Newport (Wales) eine schwierige Balance zwischen dem Wunsch der östlichen Mitglieder nach Militärpräsenz und dem Wunsch anderer nach Dialog mit Moskau finden. Unabhängig davon wächst der US-Druck auf die Europäer, mehr für die Verteidigung auszugeben.

Eine Wiederholung des Kalten Krieges werde es schon deswegen nicht geben, weil der ideologische Gegensatz zwischen Kapitalismus und Kommunismus nicht mehr existiere, sagen Diplomaten in Brüssel. Das Reden über einen „Kalten Krieg II“ könne aber auch etwas Gutes haben, meint man bei der Denkfabrik German Marshall Fund: Es könne zu mehr Schwung für eine gemeinsame europäische Verteidigungs- und Energiepolitik führen. (dpa)