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Sorbisches in fünfter Generation

Das Hoyerswerdaer Trachtenhaus Jatzwauk feiert 90. Geburtstag – mit Internetseite, doch ohne Internethandel.

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© Archivfoto: Silke Richter

Von Uwe Jordan

Hoyerswerda. Wenn es ein Fachgeschäft in Hoyerswerda gibt, das den Namen „Traditionsgeschäft“ verdient, dann das Trachtenhaus Jatzwauk in der Senftenberger Straße 19, das 2016 sein 90. Jubiläum feiert und ununterbrochen als Familienbetrieb geführt wird. Hier gibt es alles, was mit sorbischen Trachten und Traditionen zu tun hat – aber nicht nur Althergebrachtes, sondern auch Hochmodisches mit Anklängen ans Sorbische. Trotzdem ist das Trachtenhaus Jatzwauk kein eigentlicher „Laden“, sagt die heutige Inhaberin Kirsten Böhme: „Früher lebte das Trachtenhaus zu etwa 80 Prozent vom Verkauf; der «Rest» war «Kultur» – aber das hat sich in den letzten Jahrzehnten umgekehrt: Heute sind wir zu 90 Prozent kulturelle Einrichtung und nur noch zu zehn Prozent ein Verkauf, also Trachtenwerkstatt, Museumsshop, Kurz- und Meterware. Wir sind in diesem Sinne kein Geschäft mehr, der «Laden» ist eher eine Erinnerung an alte Zeiten.“

So ziemlich die Ersten im Netz

Aber das ist nicht der Hauptgrund, dass das Trachtenhaus Jatzwauk keinen Internethandel (mehr) betreibt. Im Gegenteil „waren wir unter den Allerersten, die überhaupt eine Internetseite hatten. Zum Beispiel haben wir unsere Trachtenpuppen damals übers Internet verkauft. Allerdings gibt es heute kaum noch Sammler.“ Auch ein Internethandel würde daran nichts ändern, „weil es in unserem Hause vor allem Beratung zu Spezialwissen gibt. Sicherlich verkaufen wir auch noch ab und zu historische Trachten – aber da die Originalstoffe nicht mehr erhältlich sind, ist der Umfang sehr beschränkt.“ Kurz – der Familienbetrieb setzt auf die Stärken, die schon zu Gründers Zeit die Einzigartigkeit des Trachtenhauses Jatzwauk ausmachten: direkten persönlichen Kontakt mit den Kunden, die das Trachtenhaus nicht nur als „Kaufhaus“ schätzten, sondern auch als Treffpunkt; als Ort des Informationsaustauschs, an dem Sorbisch gesprochen wurde – auch und gerade zu Zeiten, als das von den wechselnden Obrigkeiten nicht gerne gesehen beziehungsweise gehört wurde.

Biografie und Historie

Die Geschichte des Trachtenhauses ist eng mit der Familiengeschichte verknüpft – biografische Ereignisse verschmelzen mit historischen. Gründer Jan Wjac³auk (auf Deutsch: Johann Jatzwauk) wurde 1897 in Hoyerswerda geboren, lernte bei Schneidermeister Georg Müller in Hoyerswerda den Beruf des Schneiders. Er erlebte im Oktober 1912, 15-jährig, im Gesellschaftshaus Hoyerswerda (heute das Bürgerzentrum Braugasse 1) die Gründung der Domowina, des Dachverbandes sorbischer Vereine und Vereinigungen, mit. 1926 gründete er, nun 29-jährig, sein wendisches Spezialgeschäft mit Weiß-, Woll- und Kurzwaren. Es war ein Zentrum sorbischer Identität. Daran änderte das Verbot der Domowina und der sorbischen Sprache im öffentlichen Leben 1937 wenig – aber der Ausbruch des Krieges zerstörte alle weiterführenden Pläne. Sohn Karl wurde eingezogen und blieb im Krieg vermisst. Ein Lichtblick: 1941 wurde der erste Enkel, Werner Böhme, geboren.

Hoffnung und (fast) Verzweiflung

In den ersten Nachkriegstagen 1945 brannte das Trachtenhaus, wohl durch Brandstiftung, fast völlig aus. Doch der Wiederaufbau gab neue Hoffnung. Die zweite Generation, Anna Böhme (1920 geborene Jatzwauk), übernahm. Sie resümierte später für die Familienchronik: „Eigentlich wollte ich ja schon immer heraus aus dem kleinstädtischen, ja ländlich geprägten sorbischen Leben, aber dann hat mich mein Vater nach Kriegsende gefragt, ob wir das zerstörte Haus wieder aufbauen sollen, und ich hab’ mich mit 26 Jahren für die Unterstützung meiner Eltern entschieden.“

1963 starb Gründer Johann Jatzwauk. Durch das unermüdliche, aufopfernde Engagement von Anna Böhme wurde das Trachtenhaus über diese schwierigen Zeiten gerettet. Anna Böhmes Sohn Werner erinnert sich: „Als 1976 das Ladengeschäft verstaatlicht und zur «HO» wurde, übernahm meine jüngste Schwester Monika die Verantwortung. Aber Monika hörte nach vier Jahren auf, «weil das mit der HO einfach nicht funktioniert». Die 80er-Jahre wurden die schwersten für das Trachtenhaus. Ich versuchte, meine Mutter, so gut es ging, zu unterstützen. Aber Ende der 80er-Jahre stand alles auf Verfall.“

Ein Wende-Geschenk

Doch dann kam die Wende. Mit ihr die vierte Generation: Werner Böhmes Tochter Kirsten Böhme. Sie blickt zurück: „Meine Großmutter, Anna Böhme, wurde am 9. November 1989 69 Jahre alt. Eine Art Geschenk: Die Berliner Mauer fiel! Neue Chancen – auch fürs Trachtenhaus? Nach reiflicher Überlegung entschied ich mich für Hoyerswerda, kehrte aus dem Westen zurück, um den Familienbetrieb weiterzuführen und ihn als bodenständiges Element sorbischer Kultur der Öffentlichkeit zurückzugeben. Damals war ich 26 – wie meine Großmutter bei ihrem Einstieg.“

Aber es wurde nicht einfacher. 1993 starb Anna Böhme; bis zu ihrem Tode eine aktive Mitarbeiterin und beste Ratgeberin. Bemühungen, mit der Domowina im Trachtenhaus, am authentischen historischen Ort, ein sorbisches Kultur- und Informationszentrum (SKI) analog den bereits vorhandenen SKI in Cottbus und Bautzen einzurichten, scheiterten. Der im Dezember 1991 gegründete Verein zur Pflege der Regionalkultur der Mittleren Lausitz e. V. sprang in die Bresche, übernahm die Trägerschaft und entwickelte in den Räumlichkeiten ein reges Vereinsleben.

Als 2015 sämtliche Fördermöglichkeiten wegfielen, musste eine Entscheidung getroffen werden. Workshops (Perlenfädeln, Ankleiden oder Ostereiermalen) können nur noch begrenzt angeboten werden. Familienmitglieder aus dem Hause Jatzwauk wie Rosemarie Fröhlich (Enkelin von Johann Jatzwauk) und Mitglieder des Regionalkulturvereins wie Renate Scharf ermöglichen, dass die Tür des Trachtenhauses jeden Mittwoch von 10-18 Uhr offen bleibt.

Zunehmend stehen der Erhalt der Originaltrachten und die Trachtenberatung im Vordergrund. „Ich hoffe, dass ich die nächsten Jahre nutzen kann, um die über 100 Jahre alten Schätze für die Nachwelt zu retten. Nur was im Original erhalten ist, kann später erforscht und gegebenenfalls nachgearbeitet werden; nur so haben die nachfolgenden Generationen die Chance, etwas über die Geschichte und die mit ihr verbundenen Geschichten zu lernen.“

„Ein ganz besonderer Ort!“

Apropos Generationen: Die fünfte Generation, Marielena (13), Tochter von Kirsten Böhme, erzählt: „2015 habe ich das erste Mal im Laden unten gestanden und mir so gedacht: «Das kann nicht sein, dass das alles einmal verschwindet.» Das erste Mal habe ich verstanden, warum meine Mutter so dafür kämpft, dass das erhalten wird. Es ist ein ganz besonderer Ort!“ Der noch weit mehr als seinen 100. Geburtstag erleben wird – mit oder ohne Internet.

Zu erreichen ist das Trachtenhaus über Telefon 03571 416550 (mit Anrufbeantworter), [email protected]

www.kauf-lokal-sachsen.de