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„Sorben leben im Schwebezustand“

Die Initiativgruppe Serbski Sejm wirbt weiter für eine sorbische Volksvertretung, so Sprecher Martin Walde.

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© Uwe Soeder

Eine sorbische Volksvertretung ist das erklärte Ziel. Frei gewählt von allen Sorben. Unabhängig in ihrem Wirken. Mit breiter Akzeptanz bei den Sorben. Die Initiativgruppe Serbski Sejm wirbt seit fünf Jahren für die Idee des sorbischen Parlamentes. Im Februar startete sie eine Unterschriften-Aktion. Über Ziele, Inhalte, Zuspruch und weitere Pläne sprach Andreas Kirschke mit Dr. Martin Walde. Der Neschwitzer Kulturwissenschaftler ist Sprecher für Serbski Sejm in der Oberlausitz.

Herr Dr. Walde, worauf zielt die Unterschriften-Aktion?

Wir Sorben leben in einer Art Schwebezustand. Unsere Kultur, Identität und Muttersprache schwinden dramatisch. Das politische Engagement löst sich auf. Denn oft wird kein Anreiz mehr gesehen, politisch etwas auszurichten. Wir brauchen daher eine Volksvertretung, die alle Sorben mitnimmt – vor allem die Kommunen, Gemeinderäte, sorbischen Institutionen, Kirchen sowie die Vereine in und außerhalb der Domowina. Gerade in der Zeit der Globalisierung ist ein politisch schlagkräftiges Organ, ein politisches Instrument der Selbstbestimmung nötig, um gemeinsam mit Kommunen auf politische Entscheidungen reagieren zu können – ob es um Schulschließungen Abbaggerung sorbischer Dörfer und anderes geht.

Welche Inhalte schreibt die Unterschriften-Aktion fest?

Wir erinnern an die Grundsätze in den Landesverfassungen Sachsens und Brandenburgs. Dort ist verankert, dass die Sorben das Recht haben, ihre Sprache und Identität zu wahren und weiterzuentwickeln. Dazu helfen und reichen jedoch keine Vereine. Dazu brauchen wir ein politisch legitimiertes Organ. Konkret besteht ein international völkerrechtlich anerkanntes Recht auf demokratische legitimierte Volksvertretung und damit Selbstbestimmung. Dieses verbriefte Recht soll mit der Unterschriften-Aktion bekräftigt werden.

Politiker auf deutscher Seite betonen oft, die Sorben müssen sich erst selbst entscheiden, bevor die Politik unterstützen kann …

Das ist richtig. Doch wie soll das geschehen, wenn es keine öffentliche, transparente Diskussion darüber gibt? Gerade sie ist Grundlage in jeder Demokratie. Ein Verein kann nie ein ganzes Volk vertreten. Wenn die Domowina als Dachverband alle Sorben vertreten will, muss sie mit allen Sorben reden und transparent diskutieren.

Tut sie das nicht?

Nach unserer fünfjährigen Erfahrung leider nicht. Trotz mehrfacher intensiver Versuche kam bis heute kein Dialog zustande. Wir reden immer noch hinter verschlossenen Türen. Wir reden immer nur darüber, ob wir überhaupt miteinander reden wollen. Das bedauern wir sehr.

An wen richtet sich die Unterschriften-Aktion?

Zu allererst an alle Sorben an der Basis. Und alle mit den Sorben intensiv Verbundenen. Wir wenden uns an die Vereine, Kulturgruppen, Gemeinderäte, Bürgermeister, Pfarrer, Kommunal-, Kreis-, Landes- und Bundespolitiker.

Wie ist bislang der Zuspruch auf die Unterschriften-Aktion?

Unerwartet groß. Wir sammelten inzwischen über 530 Unterschriften. Erfreulich ist, dass sich viele sorbische Vereine zu Wort melden, ebenso Komponisten, Dichter, Schauspieler, Schriftsteller, Journalisten, Wissenschaftler und Künstler. In einer Befragung der sorbischen Abendzeitung Serbske Nowiny sprachen sich zwei Drittel der Teilnehmer für den offenen Dialog mit der Domowina aus. Zu den Unterzeichnern gehören auch viele Mitglieder der Domowina.

Die Initiativgruppe will stärker an die Fraktionen im Sächsischen Landtag herantreten. Wie ist der Sachstand aktuell?

Wir haben mit allen Fraktionen (außer mit der AfD) zum Thema beraten. Sie alle zeigten Verständnis für unser Anliegen. Sie alle wollen an der Sache dranbleiben. Konkrete Zusagen für eine Gesetzesinitiative gibt es jedoch noch nicht. Zuerst, so heißt es, müssten wir Sorben uns selbst klar entscheiden und positionieren. Erst dann habe auch die deutsche Seite das Recht, aktiv in den Prozess einzugreifen.

Werden Sie weiter in den Fraktionen für Serbski Sejm werben?

Ja natürlich. Erfreulich war, dass Bündnis 90 / Die Grünen im Wahlprogramm 2014 bereits das Ziel formulierten: „mehr Rechte für die Sorben…. Sie sollen eine eigene Volksvertretung bekommen.“ Auch die Linkspartei forderte in ihrem „Erfurter Programm“ für die Sorben Selbstbestimmung. Das ermutigt uns, weiter zu kämpfen.

Wie ist der Sachstand der Gespräche mit den Kommunen?

Wir waren bereits in vielen Gemeinderäten, etwa in den Kommunen am Klosterwasser aber auch in vielen anderen Kommunen. Immer wieder nehmen Gemeinderäte unser Anliegen mit auf die Tagesordnung. Wir wollen weiter in Ratssitzungen dafür werben.

Wie ist der Sachstand der Gespräche mit der Domowina?

Im Moment ist Stillstand. Das bedauern wir sehr. Nicht die Domowina an sich ist das Problem, dass sich nichts bewegt. Es sind einige nicht gesprächsbereite Funktionäre.

Was motiviert Sie, weiter für Serbski Sejm zu kämpfen?

Uns motiviert zuallererst die hohe Zahl der Unterschriften. Wir wollen jetzt ein Podiumsgespräch vorbereiten. Hier sollen alle politischen Kräfte der Sorben und Vertreter der Vereine teilnehmen. Das zentrale Thema sorbische Volksvertretung soll diskutiert werden.

Wie schätzen Sie die Aussichten für die Zukunft ein?

Eine größere Basis erreichen wir nur, wenn offen und transparent diskutiert wird. Dazu soll die Podiumsdiskussion dienen. Minderheiten, das unterstreicht der anerkannte Wissenschaftler für Völker- und Europa-Recht, Professor Peter Hilpold von der Universität Innsbruck (Österreich), haben das bedingungslose Recht auf Demokratie. Ihre Selbstbestimmung durch eine demokratisch legitimierte Volksvertretung, so betont er, ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Europa zum Erfolgsmodell geworden. Selbstbestimmung gilt als „Königin“ unter den Instrumenten des Minderheitenschutzes. Peter Hilpold verdeutlicht ebenso: „Eine demokratisch legitimierte Volksvertretung löst Konflikte zwischen Minderheit und Mehrheit. Sie löst zudem Konflikte innerhalb der Minderheit, weil sie Konfliktpotential einzuhegen vermag.“

Gespräch: Andreas Kirschke

www.serbski-sejm.de