Anett Böttger
Rosenthal. Hubertus Rietscher steht vor der Wallfahrtskirche in Rosenthal (Landkreis Bautzen) und schaut übers freie Feld. Der Bürgermeister von Ralbitz-Rosenthal zeigt auf eine Stelle, die nicht einmal einen Kilometer von der Kirche entfernt ist. Dort habe ein Unternehmen nach dem Rohstoff Kaolin bohren lassen, berichtet der CDU-Mann. Das Unbehagen ist dem katholischen Sorben deutlich anzumerken - wenn er nur daran denkt, dass in Sichtweite der Wallfahrtsstätte eine tiefe Grube entstehen könnte.
„Wir fordern einen besonderen Schutz für unseren Wallfahrtsort“, steht auf einem sorbischsprachigen Transparent direkt vor der Kirche. Dass überhaupt jemand auf die Idee kam, in der Nähe der Kirche nach Rohstoffen zu suchen, können viele nicht fassen. „Ich habe noch niemanden getroffen, der es befürwortet“, sagt Rietscher. „Wer hier baggern lässt, verliert seine Wähler“, ist unmissverständlich an einer Hauswand in Rosenthal zu lesen.
„Wenn etwas gefunden wird, drückt man es durch“
Noch sei nichts entschieden, heißt es beschwichtigend aus dem Caminauer Kaolinwerk. Es gehört zur Quarzwerke-Gruppe mit Sitz in Frechen (Nordrhein-Westfalen). Den Rohstoff, den das Unternehmen für die Weiterverarbeitung in der Papierindustrie aufbereitet, fördert es derzeit in Königswartha. Auch wenn die Vorräte dort noch 10 bis 20 Jahre reichten, sei die Firma mit 120 Mitarbeitern schon jetzt um Rohstoffsicherung bemüht, sagt Unternehmenssprecherin Britta Franzheim.
Die Wallfahrtskirche von Rosenthal
Insgesamt rund 90 Bohrungen an sieben Standorten hat das Kaolinwerk geplant, voraussichtlich im Frühjahr 2015 auch erneut in Rosenthal. „Selbst das müssen wir verhindern“, sagt der Bürgermeister. Die Leute sollten gar nicht erst ihre Grundstücke zur Verfügung stellen. „Wenn etwas gefunden wird, drückt man es durch“, befürchtet Rietscher. Und mit einer Grube wären Dreck, Staub, Lärm, Verkehr und Grundwasserprobleme verbunden.
Rosenthal liegt im Städtedreieck zwischen Bautzen, Hoyerswerda und Kamenz, wo die slawische Minderheit zu einem großen Teil siedelt. Gerade für katholische Sorben hat der kleine Ort in idyllischer Umgebung große religiöse Bedeutung. Er ist Station der Osterreiter, Ziel verschiedener Prozessionen zu Pfingsten sowie einer von zwei Wallfahrtsorten im Bistum Dresden-Meißen. „Viele Gläubige pilgern mehrfach im Jahr zur Kirche, um ihre tiefe Verehrung für die Marienstatue auszudrücken“, erzählt Rietscher - und spricht dabei aus eigener Erfahrung.
Außerdem gehört Rosenthal zu einem europäischen Netzwerk, das acht Wallfahrtsstätten in Deutschland, Österreich, Polen und Tschechien vereint. Neben praktiziertem Glauben lebten solche Orte von ihrem geistlichen Umfeld, sagt der Bischof von Dresden-Meißen, Heiner Koch. Er appelliert daher, „den Wallfahrtsbetrieb in Rosenthal von Störungen freizuhalten“. Der heilige Ort und seine Umgebung sollten geachtet werden, um die gewachsene und lebendige sorbisch-katholische Kultur zu erhalten.
Bischof Koch wird am 6. Juli selbst zur Bistumswallfahrt nach Rosenthal reisen, um mit Tausenden Gläubigen eine Messe zu Ehren des sorbischen Priesters Alojs Andritzki (1914-1943) zu feiern. Zum 100. Male jährt sich am 2. Juli der Geburtstag des Mannes, der als erster Geistlicher im Bistum Dresden-Meißen zu Pfingsten 2011 seliggesprochen wurde. Während des Nationalsozialismus hatte er die Verfolgung von Geistlichen angeprangert. Durch eine Giftspritze starb er im Konzentrationslager Dachau.
Geradlinigkeit, Lebensfreude und Tiefgang im Glauben seien typisch für Andritzki gewesen, sagt Stephan Delan. Er ist Pfarrer in Radibor, wo Andritzki zur Welt kam. „Wir können in einer ganz konkreten Biografie studieren, wie Gott in Menschen wirkt.“ Und zweifellos hätte es Andritzki nicht geduldet, dass in Rosenthal irgendwann Kaolin abgebaut wird. (dpa)