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Sophias Welt

Familie Angermann aus Hennersdorf hat eine autistische Tochter. Eine besondere Therapie kann nützen. Doch dazu braucht es Helfer.

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© Rene Plau

Ina Förster

Hennersdorf. Wir suchen Menschen, die uns etwas Kostbares schenken“, sagt Maria Angermann. „Ihre Zeit!“ Die Mutter sagt es ruhig. Bestimmt. Wissend, dass die Suche schwer wird. Denn wer hat so etwas heute freiwillig abzugeben? Alle hetzen durch ihr Leben. Terminbücher bestimmen den Alltag. Doch Familie Angermann aus Hennersdorf bittet dennoch darum. Für ihre Tochter Sophia. Die Fünfjährige ist Autistin. Ein spezielles Therapieprogramm aus den USA könnte ihr helfen. Davon sind die Eltern überzeugt. Doch allein, ohne ehrenamtliche Hilfe, ist es nicht zu stemmen. Maria hat lange mit sich gerungen, das familiäre Thema öffentlich zu machen. Aber manchmal nutzt das Wollen nicht. Manchmal muss man einfach müssen.

Als Sophia dreieinhalb Monate ist, hat die Familie einen Verkehrsunfall. Seitdem ist nichts mehr wie vorher. Das zarte Pflänzchen Glück droht kurz nach der Geburt einzugehen. Man diagnostiziert der Kleinen obendrein eine Zyste im Hirn. Doch dass durch sie der Autismus ausgelöst wird, glauben die Eltern bis heute nicht. Beide sind Ärzte. Beide wissen fachlich, wovon sie sprechen. „Sophia war die ersten Lebensmonate ein waches Baby, das die Welt mit großen Augen betrachtete. Sie hat zugegriffen, uns angeschaut.“

Nach dem Unfall beginnt das Schreien. Und der Rückzug. „Ich habe sie drei Jahre gestillt, um ihr überhaupt nah sein zu können“, erzählt Maria Angermann. „Um ihr zeigen zu können: He, kleines Wesen. Wir lieben dich. Wir sind da für dich!“ Trinken und essen funktioniert. Mehr nicht. Am Ende hat die junge Familie acht verschiedene Arten von Schreien kategorisiert. „Wir hatten keine Möglichkeit, anders mit Sophia in Kontakt zu treten“, sagt Marc Angermann.

Und so beginnt das Paar, sein Leben rund um das Kind herum zu bauen. Man kauft einen Bauernhof in Hennersdorf, entflieht dieser lauten Welt. Denn laut ist sie für Sophia. Die einfachsten Begegnungen, kleinsten Ausflüge, nichtigsten Probleme verschrecken die heute Fünfjährige. Oft wirkt sie abwesend. Stundenlang könnte sie dafür in den Schnee schauen. Wie schön es aussieht, wenn man in einen Sonnenstrahl hineinspuckt. Menschen nimmt sie dagegen kaum wahr. Blickkontakt? Meistens negativ. „Ich denke mir oft, für Sophia sind Menschen Haare mit Beinen“, wagt Mama Maria einen Versuch der Erklärung. Dabei liebt sie Haare über alles.

Kleine Schritte in ein normales Leben

Der Fokus dieser Kinder ist anders. „Autismus ist eine Stressregulationsstörung“, so Marc Angermann. Sämtliche soziale Interaktionen sind leider fast unmöglich. Es hat nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun.“ Der Kamenzer Osteopath beschäftigt sich beruflich mit dem Thema. Seitdem seine Praxis ein Kinder- und Jugendzentrum geworden ist, noch mehr. Freilich spielen die privaten Ambitionen mit. Was wäre das Leben ohne Hoffnung? Ohne Mut?

Hanna ist so ein Stückchen Hoffnung. Sophias jüngere Schwester kommt knapp ein Jahr später auf dieser Erde an. Ungeplant. Doch willkommen. Die heute Vierjährige muss schnell selbstständig werden. Eine Spielkameradin und Vertraute findet sie in ihrer Schwester nicht. Dass die Familie mittlerweile öfters in den USA war, um sich ein neues Therapieprogramm anzueignen, gehört ebenfalls zu dieser Sorte Mut. „Wir haben das Son-Rise-Programm für uns entdeckt und arbeiten seit Längerem damit“, sagt Maria Angermann. Seitdem gibt es Erfolge. Kleine Schritte in ein normales Leben. Wenn Sophia plötzlich Augenkontakt aufnimmt, geht für Angermanns ein Wunsch in Erfüllung. Wenn Sophia kuscheln will, ist es, als ob Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. „Sogar das Schreien haben wir auf ein Minimum reduzieren können“, so Maria. Mit allen anderen Therapien vorher hat das nicht funktioniert. „Und wir haben einiges ausprobiert – klassisch und alternativ, sagt Marc.

Klavierspielen sich selbst beigebracht

Was ist so anders am Son-Rise-Konzept? Die Achtung, die alle Außenstehenden der kleinen Autistin entgegenbringen? Die Fürsorge und Liebe, mit der man ihr begegnet? Das Abwarten? Beobachten? Das Sich-herabbegeben auf ihre Ebene? Um dann mit voller Kraft loszulegen und mit ihr gemeinsam Spaß zu haben? Von allem sicherlich etwas. Es gibt seitdem im Haus einen Spielraum. Dort hält sich die Fünfährige von morgens 8 bis nachmittags 16 Uhr auf. Das Zimmer ist reizarm gestaltet. Hier kann nicht viel ablenken. Es gibt einen Spiegel, ein E-Piano, ein paar Trommeln, ein Bett. Und eine Gitarre. Sophia liebt Musik. Vor Jahren schon hat sie sich das Klavierspielen allein beigebracht. Autisten haben oft besondere Begabungen.

Mama Maria, Au-pair-Mädchen Everlyne aus Kenia, Haushaltshilfe Kerstin Welz, und ab und zu die Oma sichern die zeitaufwendige Therapie ab. Manchmal kommt die 17-jährige Lisa nach Hennersdorf, um mit Sophia im Spielraum zu arbeiten. „Sophia ist ein liebenswürdiges Kind, weich. Ruhig. Aber nicht wählerisch, was Menschen angeht, die sich ihr widmen“, sagt Psychologiestudentin Everlyne. „Man muss sich nicht besonders anstrengen, es geht darum, wie leidenschaftlich man für die Sache brennt! Wenn man sich ihr öffnet, dann öffnet sich Sophia ebenfalls!“ Auch Kerstin Welz macht diese Erfahrung täglich. Alle im Haus lieben das Mädchen. Wollen Anteil haben am Vorwärtskommen.

Doch es braucht mehr ehrenamtliche Helfer. „Wir streben 50 Stunden in der Woche an, mehr ist jedoch besser“, so Maria Angermann. Allein ist das nicht zu schaffen. „Wir suchen Menschen, die mindestens für ein halbes Jahr für zwei bis drei Stunden pro Woche zu uns kommen, und mit Sophia arbeiten“, sagt die Mutter. Voraussetzungen sind Spaß an der Sache und eine lebensbejahende Grundeinstellung. Etwas Kreativität wäre hilfreich. „Wir schulen die Mitmacher. Die Therapiestunden im Spielzimmer werden über Kamera aufgezeichnet und gemeinsam ausgewertet“, so Marc Angermann. Der größte Wunsch der Familie ist es, dass ihr Kind sprechen lernt. Bis heute hat sie noch kein einziges Wort gesagt. Und dass sie allein auf Toilette geht. Auch in Hinblick für weitere Entwicklungswege ist das enorm wichtig. Deshalb heißt es jetzt warten: auf Menschen mit Zeit. Zeit für Sophia …

Informationen & Kontakt: Fam. Angermann, Dorfstraße 30, Hennersdorf, Telefon 03578 7833456, E-Mail [email protected]